Digitale Wahlkämpfe: Interview mit Julius van de Laar
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Dies gilt umso mehr in diesem Jahr, da nach den Europawahlen noch in vielen weiteren Ländern gewählt wird. Große Bedeutung kommt dabei der Präsidentschaftswahl in den USA zum Jahresende zu. Mit dem Kampagnen- und Strategieberater Julius Van de Laar haben wir deshalb über die Rolle der Digitalisierung und von Social Media im US-Wahlkampf und darüber hinaus gesprochen.
Seit Jahren ist klar, dass Wahlkampf im digitalen Zeitalter anders funktioniert als früher. Sind im aktuellen Rennen um die US-Präsidentschaft bereits neue, signifikante Entwicklungen absehbar? Was unterscheidet diesen Wahlkampf von früheren?
Wenn man einmal weiter zurückblickt, wird deutlich, wie sehr sich Wahlkämpfe durch die Digitalisierung verändert haben. Der erste US-Wahlkampf, den ich mitgemacht habe, war 2008 als mit Barack Obama der erste Soziale-Medien-Wahlkampf stattfand. Damals hatte man das Gefühl im Land der unbegrenzten digitalen Möglichkeiten zu sein, wo man einfach Dinge wie Facebook, SMS oder Tweets im Vorfeld der Wahlen ausprobieren konnte.
2012 gab es dann den ersten datengetriebenen Wahlkampf mit Microtargeting und Big Data. 2016 folgte mit Donald Trump ein „Fake News“-Wahlkampf, wo erstmals auf höchster Ebene massiv Falschnachrichten propagiert wurden. 2020 erlebten wir aufgrund der Corona-Pandemie den ersten virtuellen Wahlkampf. Und nun gibt es 2024 die nächste Entwicklungsstufe mit dem ersten KI-Wahlkampf, wo z.B. das erste Video der Republikaner komplett KI-generiert ist.
Ich finde diese Evolution bemerkenswert, dass es alle vier Jahre einen massiven Schritt nach vorne gibt. Gerade mit Künstlicher Intelligenz ist sicherlich das letzte Kapitel noch lange nicht geschrieben. In Anbetracht der Geschwindigkeit der Entwicklung ist es mittlerweile vorstellbar, alle diese Elemente – Social Media, Big Data, Fake News a la Cambridge Analytica, mithilfe von KI-Tools miteinander zu verknüpfen. Wie das Ganze dann 2028 aussieht, ist sehr schwer vorherzusagen. Eventuell können die Umfragen durch mehr Daten noch genauer sein.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien mittlerweile im US-Wahlkampf?
In den USA haben sie mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert bei den Parteien, weil über digitale Plattformen und natürlich auch die Medien die eigene Message an die Leute vermittelt werden kann, um diese zur Wahl zu mobilisieren.
Wir sind endlich an dem Punkt angekommen, wo Events und TV-Interviews nicht mehr nur nebenbei auf Social Media verwertet werden, sondern andersherum Botschaften und Gesprächspartner:innen nach deren Reichweiten und Followerschaft ausgerichtet werden. Zum Beispiel wenn Kim Kardashian zu Präsident Joe Biden ins Weiße Haus kommt und bereits damit eine Nachricht in den digitalen Medien produziert wird. Zudem werden neben sehr bekannten Influencern auch zunehmend Microinfluencer genutzt, die mittlerweile sehr gezielte Botschaften bekommen, um diese bei ihrem Publikum weiterzuverbreiten.
Hier erkennt man eine All-of-above-Strategie der Demokraten: Biden macht seine normalen Veranstaltungen in den Bundesstaaten, über die die klassischen Medien berichten, aber eben auch eigene Events für Social Media, um dort die gewünschte Story weitertreiben zu können.
Dies ist jedoch auch dem unerbittlichen Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit in den USA geschuldet. Nach meinem Eindruck bekommt man diese in Deutschland immer noch ein Stück weit einfacher, weil die bundesweiten und regionalen Medien allen Parteien einen gewissen Platz einräumen.
Welche digitalen Plattformen werden dabei hauptsächlich genutzt?
Grundsätzlich hat die Zahl der Plattformen weiter zugenommen, etwa durch TikTok, YouTube Shorts oder auch Donald Trump, der mit „Truth Social“ einfach seine eigene aufgemacht hat. Aber ich denke, dass nach wie vor Twitter/X eine große Rolle spielt.
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Mit Blick auf TikTok ist zudem bemerkenswert, dass der nationale Sicherheitsberater in den USA sagt, die Plattform sei wegen ihrer China-Verbindung ein Riesenproblem und gleichzeitig alle relevanten Politiker:innen auf TikTok sind – weil es die Wähler:innen eben auch sind. Ich glaube, dass war immer schon das Merkmal von Wahlkampf: Gehe dorthin, wo die Menschen sind.
Früher war es der Marktplatz oder die Haustür und jetzt sind wir eben auf TikTok, weil wir uns dort den Kontakt zur nächsten Generation versprechen.
Ich weiß jetzt nicht, ob TikTok das entscheidende Wahlkampfinstrument zur Bundestagswahl 2025 sein wird. Allerdings hat man momentan auch die Herausforderung, dass niemand Externes in den Algorithmus der Plattform reinschauen kann und dass Werbung schalten dort nochmal deutlich komplizierter ist, als vielleicht auf Instagram oder Facebook. Was einem ausgespielt wird und warum etwas viral geht, bleibt so oft unklar.
In Zeiten von Desinformation: Wie gelingt es Politiker:innen trotz der Flut von Falschinformationen die eigenen Botschaften zu platzieren?
Man sollte auf jeden Fall einen Grundsatz politischer Kommunikation beherzigen: „Wahrnehmung ist Realität“. Im Fall von Joe Biden etwa geht es zunehmend darum, ihn nicht als zu alt und unsicher erscheinen zu lassen. Was hier auch gut in den sozialen Medien funktioniert, ist einen Kontrast zu erzeugen, z.B. wenn Biden beim White House Correspondents‘ Dinner selbst Witze über sein Alter macht – und sich zugleich gegenüber seinem Kontrahenten Donald Trump abgrenzt. Soziale Medien funktionieren nun mal durch Punch, durch Zuspitzung und Polarisierung. Zumal es im Wahlkampf keine Mobilisierung ohne Polarisierung gibt.
Warum bekommen populistische oder polarisierende Beiträge auf Social Media besonders viel Zuspruch?
Man muss leider festhalten, dass wir alle in unserer Aufmerksamkeit einen Hang zum Extremen haben. Wenn etwa Trump sagt, „We all gonna die“ oder die AfD sagt, „Wir werden alle unsere Jobs verlieren und im Dunkeln sitzen“, dann trifft das eher unseren Nerv als sachliche Beiträge. Besonders wenn solche Botschaften mit den richtigen Bildern hinterlegt sind, die Emotionen bei uns freisetzen. Gerade in den sozialen Medien braucht es deshalb oft den Knall.
In Deutschland wird gerade viel über den Social-Media-Erfolg der AfD gesprochen. Inwiefern sollten die anderen Parteien davon lernen oder sich eher abgrenzen?
Ich würde sagen, man kann natürlich argumentieren, dass der Zweck die Mittel heiligt: Also im Wahlkampf geht es darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen, um Stimmen zu akquirieren und gewählt zu werden. Man kann aber auch das andere Argument betonen, dass dabei der politische Diskurs verroht, man sich nur noch an Stilmitteln abarbeitet und die wesentlichen Themen aus dem Fokus geraten.
Aber wer ist letztlich verantwortlich dafür? Ist es nur die AfD, wenn sie zu immer brutaleren Kommunikationsmethoden greift? Oder spielen nicht auch die Plattformen eine zentrale Rolle?
Etwa, wenn Elon Musk den Großteil der Twitter-Moderationsteams rauswirft. Ich denke, wenn die Social-Media-Plattformen die rechtlichen Vorgaben der EU konsequent umsetzen würden, gäbe es bereits weniger polarisierende Inhalte und Desinformation.
Wenn Sie sich für nur eine Social Media-Plattform entscheiden müssten, welche würden Sie für die politische Kommunikation einsetzen und warum?
Wahrscheinlich würde ich unter dem Gesichtspunkt der Weiterentwicklung TikTok wählen. Auch weil ich es bisher am wenigsten nutze und weil ich das Gefühl habe, dass die nächste Generation dort ist. Selbst wenn man dort nicht unbedingt mitbekommt, was gerade viral geht, da keine Trending Topics angezeigt werden.
Die USA gelten in vielen Bereichen als Trendsetter. Welche der angesprochenen Entwicklungen werden wir demnächst auch in deutschen Wahlkämpfen sehen – oder auch nicht?
Also was ich hierzulande noch nicht sehe, ist diese hohe Fundraising-Intensität, für die ebenfalls Aufmerksamkeit durch extreme Polarisierung erzeugt wird, wie z.B. durch die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene. Auf der anderen Seite schickt das Kampagnen-Team von Biden jeden Tag mehrere E-Mails an die Unterstützer:innen raus. Solch ein Szenario, dass mir die deutschen Parteizentralen täglich vier oder mehr Newsletter mit der Bitte um Geldspenden zusenden, ist dagegen unvorstellbar. Der Grund dafür sind natürlich auch die hohen Kosten für den Wahlkampf in den USA, der laut Prognosen dieses Jahr 16 Milliarden kosten wird. Da kommt Deutschland, auch auf die Bevölkerung gerechnet, bei weitem nicht heran.
Eine Sache, die mir aber Sorgen bereitet, ist wenn jetzt die Macht der Daten, die wir z.B. im Fall von Cambridge Analytica erahnen konnten, mit der Schlagkraft Künstlicher Intelligenz kombiniert wird, um Menschen von bestimmten Positionen zu überzeugen. Da fängt es an gruselig zu werden und ich klinge wie George Orwell, weil daten- und KI-gestütztes Microtargeting gerade enge Wahlen entscheidend beeinflussen könnte.
Digital Masterminds mit Douglas Rivers und Julius van de Laar: The Angry Voter (22.09.2016)
Mehr Informationen:
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