Europawahl: Wofür stehen die Spitzenkandidat:innen?
Bereits in wenigen Wochen stehen die zehnten Wahlen zum Europäischen Parlament an. Für die Spitzenkandidat:innen der deutschen Parteien bricht damit der finale Monat ihres Wahlkampfes an, der spätestens seit April intensiv geführt wird. Wen die Parteien auf ihrem Listenplatz Eins nominiert haben, für welche Themen diese Kandidat:innen stehen und wo sie digitalpolitisch zu verorten sind, haben wir hier zusammengestellt.
Fast alle der Parteien verlassen sich bei der Wahl ihrer Spitzenkandidat:innen auf bewährtes Spitzenpersonal, das bereits seit Jahren in der Politik aktiv ist und auf nationaler oder europäischer Ebene Verantwortung trägt. Zudem fällt auf, dass jede der demokratischen Parteien eine Frau als Spitzenkandidatin nominiert hat – mit Ausnahme der CSU, die mit dem erfahrenen EVP-Fraktionsvorsitzenden antritt. Ob die Parteien damit ein Signal senden wollen oder die Wahl der Spitzenkandidatin lediglich die naheliegendste Personalentscheidung war, ist wohl von Partei zu Partei unterschiedlich. Auf jeden Fall handelt es sich hier um eine Premiere, die gerade aus feministischer Sicht von großer Bedeutung ist.
Die Ampel auf Europaebene
Für die SPD tritt Katarina Barley als Spitzenkandidatin an. Aktuell ist sie als EP-Abgeordnete auch eine der Vizepräsident:innen des Europaparlaments. Die ehemalige Bundesjustizministerin zieht als “stärkste Stimme für Europa” in den Wahlkampf und verspricht den Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit sowie einen Fokus auf Wohlstand und Fortschritt Europas. Zudem möchte sie die Demokratie in der EU stärken. Digitalpolitisch finden sich bei ihr wenig konkrete Positionen, ihre Social-Media-Accounts werden jedoch gelegentlich mit Reels und Posts zu Themen wie Kinderschutz, der Ablehnung des Einsatzes von Überwachungssoftware und dem Digital Services Act der EU bespielt.
Die EU-Abgeordnete Terry Reintke, die als Ko-Vorsitzende der Grünen Fraktion im Europaparlament fungiert, tritt als neue Spitzenkandidatin ihrer Partei an. Generell positioniert sie sich in ihrem Wahlkampf als Verfechterin des Rechts- und Sozialstaats und der Grundrechte. Zudem legt sie Wert auf feministische Grundsätze und tritt für den Schutz der Demokratie vor Rechts ein. Digitalpolitisch findet sich in Reintkes Karriere bisher wenig konkrete Positionierung. Auf ihrer Website wirbt sie jedoch unter dem Ideal einer “grünen Transformation und grünen Industriepolitik” für eine klimaneutrale Modernisierung, die eine erfolgreiche Transformation gewährleisten und im Kampf gegen den Klimawandel unterstützen soll.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die vor allem seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag an Bekanntheit gewonnen hat, möchte nun ins Europaparlament wechseln und kandidiert als Spitzenkandidatin der FDP. Ihrer Rolle als Verteidigungsexpertin entsprechend steht sie im Wahlkampf vor allem für ein starkes und wehrhaftes Europa, das eine weltweite Vorreiterrolle im Bereich Innovationen einnimmt und für die Wahrung von Freiheit, Sicherheit und Demokratie eintritt. Zudem soll das wirtschaftliche Wachstum gesichert und gestärkt werden.
Auch digitalpolitisch finden sich bei Strack-Zimmermann deutliche Positionen: Sie versteht sich als “Anwalt der neuen Möglichkeiten der Digitalisierung” und möchte durch die gezielte Nutzung digitaler Chancen Deutschland und der EU zu mehr Wohlstand und besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen verhelfen. Zudem soll der europäische Binnenmarkt digital gefördert werden, hier möchte die ehemalige Düsseldorfer Bürgermeisterin regulierungsbedingte Barrieren abbauen.
Die Spitzenkandidat:innen der Unionsparteien
Für die CDU tritt erneut die derzeitige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an – ungewöhnlicher Weise nicht für das Parlament, sondern für die Wiederwahl an die Spitze der EU-Kommission. Erst spät wurde sie im Wahlkampf selbst präsent, weswegen die FDP der CDU bereits ein absichtliches “Verstecken” ihrer Spitzenkandidatin vorwarf. Seit Ende April führt sie jedoch ihre Kampagne mit dem Versprechen, für ein starkes und sicheres Europa mit Wohlstand und Demokratie zu kämpfen. Digitalpolitisch positionierte sie sich in ihrer ablaufenden Amtszeit vor allem zum Potenzial Künstlicher Intelligenz für die EU als Wirtschafts- und Innovationsstandort und äußerte häufige Unterstützung für den AI Act.
Ihr Parteikollege und CSU-Spitzenkandidat Manfred Weber fällt ebenfalls nicht durch digitalpolitische Positionen im Wahlkampf auf. Grundsätzlich repräsentiert er CSU-typische Positionen wie die Wahrung christlicher Werte, eine demokratische und bürgernahe EU und die Vertretung bayerischer Interessen auf europäischer Ebene.
Linke, BSW und AfD
Die Linke hat als einzige der etablierten demokratischen Parteien eine Doppelspitze nominiert: Der altgediente Europa-Abgeordnete und Parteivorsitzende der Linken Martin Schirdewan tritt gemeinsam mit Carola Rackete an, die insbesondere für ihre Arbeit als Kapitänin im Bereich der Seenotrettung bekannt ist. Beide Kandidierenden fordern einen allgemeinen Wechsel der EU-Politik, der hin zu Klimaschutz und sozialer Sicherheit führen soll. Die Rolle der EU wird im Idealfall als die einer unabhängigen Friedensunion verstanden, innerhalb derer die Menschenrechte – ausdrücklich auch von Geflüchteten und Asylsuchenden – geschützt werden. Digitalpolitisch gibt es von beiden Kandidierenden wenig Forderungen: Während sich Schirdewan lediglich für eine höhere Besteuerung von Digitalkonzernen ausspricht, sind bei Racketes erstem Abstecher in die aktive Politik keine digitalpolitischen Forderungen aufzufinden.
Abseits der etablierten demokratischen Parteien sind auch die Spitzenkandidaten der AfD und des BSW medial sehr präsent. Der AfD-Spitzenkandidat und Europa-Abgeordnete Maximilian Krah setzt sich dabei jedoch – trotz seiner erfolgreichen TikTok-Präsenz – nicht für digitalpolitische Anliegen ein. Das BSW tritt mit einer rein männlichen Doppelspitze an, die aus dem ehemaligen Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel und dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Fabio de Masi besteht. Beide sind nicht für spezifische digitalpolitische Positionen bekannt.
Diese Auflistung zeigt: Die Digitalpolitik scheint für die Europakandidat:innen auf Spitzenebene eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Wie sie daher für die Umsetzung der digitalpolitischen Forderungen aus den jeweiligen Wahlprogrammen ihrer Parteien argumentieren, wird sich wohl erst nach der Wahl ode rnoch in dne nächsten Wochen zeigen.