Fair Share & Netzneutralität: Interview mit Prof. Dr. Thomas Fetzer
Beim Ausbau der digitalen Infrastruktur existiert in Deutschland und Europa eine enorme Lücke zwischen den notwendigen und den tatsächlich getätigten Investitionen. Laut EU-Kommission beträgt diese Investment Gap europaweit mindestens 174 Milliarden Euro bis 2030. Ein Lösungsvorschlag ist der Fair Share-Ansatz, der eine Kostenbeteiligung von Tech-Unternehmen und Diensteanbietern vorsieht, die maßgeblich zur Auslastung der Datennetze beitragen. Über das häufig gegen das Konzept vorgebrachte Argument der Netzneutralität haben wir mit Prof. Dr. Thomas Fetzer gesprochen, der insbesondere zur Telekommunikationsregulierung und regulatorischen Fragen der digitalen Wirtschaft forscht.
Herr Prof. Fetzer, warum wird die Debatte um einen Fair Share – einer Beteiligung von Content-Anbietern an den Kosten des digitalen Netzausbaus – so intensiv diskutiert?
Es sind meines Erachtens mindestens zwei Gründe: Erstens stellt sich ja schon länger die Frage, welchen Beitrag so genannte OTT-Anbieter zu den Kosten der digitalen Infrastruktur leisten können und sollen. Traditionell würde das über die Besteuerung entsprechender inländischer Einkünfte sichergestellt, aber die Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle ist nach wie vor nicht abschließend und befriedigend gelöst. Zweitens hat sich in den Vordergrund der Diskussion die Frage nach einer möglichen Verletzung der Netzneutralität gedrängt. Die ist schon immer äußerst kontrovers und teilweise emotional diskutiert worden. Beides trägt sicherlich dazu bei, dass die Debatte so intensiv geführt wird.
Der Fair Share Ansatz spricht sich für eine Kostenbeteiligung von Technologieunternehmen aus, die große Datenmengen durch Private Peering über die Mobilfunknetze transportieren. Ist die Netzneutralitätsverordnung aus Ihrer Sicht in diesem Szenario überhaupt anwendbar?
Meines Erachtens besteht zwischen Fair-Share und der aktuellen Netzneutralitätverordnung kein Widerspruch. Das kann man rechtstechnisch damit begründen, dass die Verordnung nur Internetzugangsdienste regelt, also das, was vereinfacht gesagt, auf der letzten Meile beim Datentransport passiert. Bei der Fair-Share-Diskussion geht es aber um die vorgelagerte Interconnection-Ebene. Die beiden Ebenen hängen natürlich miteinander zusammen, aber unmittelbar in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt nur die erste Ebene.
Selbst wenn man das anders sehen sollte, muss man sich aber vergegenwärtigen, weshalb es überhaupt Regelungen zur Netzneutralität gibt. Sie sollen im Kern verhindern, dass Internetzugangsanbieter ihre Stellung missbräuchlich ausnutzen, um entweder den Wettbewerb zwischen OTTs zu behindern oder missbräuchliche Preise für den Internetzugang zu verlangen. Es geht also darum zu verhindern, dass private Akteure darüber entscheiden, welche Inhalte zu welchen Konditionen verfügbar sind. Bei der Fair-Share-Diskussion geht es aber darum, dass ein demokratisch legitimierter Gesetzgeber eine Entscheidung treffen will, welcher Anbieter in der digitalen Wertschöpfungskette welche finanziellen Beiträge leisten soll.
Unter welchen Voraussetzungen kann eine Abgabe bzw. Beteiligung an den Netzausbaukosten mit Netzneutralitätsregelungen vereinbar sein?
Entscheidend ist, dass der (europäische) Gesetzgeber grundsätzliche Regelungen dazu trifft, wer unter welchen Voraussetzungen an wen was zahlt. Der Gesetzgeber hat dabei sicherlich einen Ausgestaltungsspielraum, entscheidend ist die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für Fair Share.
Falls der europäische Gesetzgeber eine Fair-Share-Verordnung erlassen würde, in welchem Verhältnis stünde diese zu der bestehenden Europäischen Netzneutralitätsverordnung?
Beide Verordnungen stünden auf derselben Hierarchiestufe. Da eine Fair-Share-Verordnung aber das neuere Gesetz wäre, würde es im Konfliktfall der älteren Netzneutralitätsverordnung vorgehen. Idealerweise würde aber natürlich die Fair-Share-Verordnung so gestaltet, dass es zu einem solchen Konflikt nicht kommt.
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