Tag der Industrie: Zur Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland
Deutschland steht vor der großen Herausforderung, den Weg zu einer digitalen und klimaneutralen Gesellschaft in wenigen Jahren bewältigen zu müssen. Wie dieses Vorhaben trotz der momentan schwierigen ökonomischen Bedingungen gelingen soll, war das zentrale Thema am Tag der Industrie. Die Zukunftskonferenz des Bundesverbandes der Industrie (BDI) fand am 19. und 20. Juni mit hochrangigen Gästen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft in Berlin statt.
Russwurm: Zu viele Belastungen für die Wirtschaft
Zum Auftakt der Konferenz wies BDI-Präsident Siegfried Russwurm auf einen „Berg wachsender Herausforderungen“ sowie das abnehmende Vertrauen der deutschen Industrie in die hiesigen Rahmenbedingungen hin. Das zurückhaltende Investitionsverhalten sei ein Zeichen dafür, dass es dem Industriestandort Deutschland nicht gut gehe. Aufgrund zu vieler Belastungen wie hoher Energiepreise und des Fachkräftemangels befürchtet er die Abwanderung von Unternehmen.
Russwurm forderte von der Politik deshalb weniger Bürokratie und Verwaltungsaufwand sowie mehr Offenheit und Vertrauen gegenüber der Expertise von Unternehmen und Verbänden. Konkreter sprach er zudem die Bedeutung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarkts für digitale Innovationen und geringere Strompreise für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft an. Im Bereich der Industrieautomatisierung sei Deutschland zwar global führend, hinke bei den digitalen Basistechnologien und Plattformen aber hinterher.
Scholz: Neues Energiesystem, Dekarbonisierung und Fachkräftesicherung
Bundeskanzler Olaf Scholz verwies bei seinem Auftritt ebenfalls auf aktuelle Herausforderungen wie den Klimawandel, Russlands Krieg oder die notwendige Transformation der Wirtschaft. Er lobte aber auch die Maßnahmen, die seine Regierung zur Bewältigung der vielen Aufgaben in der „Zukunftswende“ bereits auf den Weg gebracht habe.
„Nach den krisenbedingten Milliardenausgaben führen wir die Ausgaben wieder auf ein Niveau zurück, mit dem wir vor den Krisen über Jahre hinweg gut zurechtgekommen sind.“
Für die Umgestaltung der deutschen Wirtschaft skizzierte er einen dreiteiligen „Transformationsplan“: den Umbau des Energiesystems durch mehr erneuerbare Energien, die Dekarbonisierung der Industrie sowie die Bekämpfung des Fachkräftemangels durch mehr qualifizierte Arbeitskräfte. So versprach Scholz „erhebliche Verbesserungen und Innovationen“ durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das bald kommen soll. Und er betonte, wie bedeutsam der Dialog von Industrie und Politik für das Erreichen der Ziele sei.
Wie sollte Deutschland mit China umgehen?
Ein wichtiges Thema bei der anschließenden Diskussion zwischen Kanzler und BDI-Präsident – sowie allgemein auf der Konferenz – war der Umgang mit den USA und China. So gehe es besonders darum, mit beiden Akteuren wirtschaftlich zusammenzuarbeiten und dabei zugleich einseitige Abhängigkeiten zu verringern, vor allem bei neuen Technologien und wichtigen Komponenten für die Digitalisierung. Russwurm plädierte hier ebenfalls für weniger Verwaltung und Auflagen in der EU und in Deutschland, damit Europa auf Augenhöhe mit den USA und China agieren könne.
Nach einem Impuls von Bundesfinanzminister Christian Lindner, der die Schuldenbremse und keine Steuererhöhungen als wichtige Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation hervorhob, aber auch Investitionen in Forschung, Wissenschaft und Transformation versprach, ging es in einer Panel-Diskussion um die Frage der Finanzierung von Innovationen. Hier wurden unter anderem das Problem zu hoher Unternehmenssteuern und Lohnnebenkosten sowie die Chancen und Risiken von KI-Anwendungen diskutiert.
Daiber: Die Rahmenbedingungen müssen stimmen
Mit dabei auf dem hochkarätigen Panel war Valentina Daiber, Vorstand Recht und Corporate Affairs bei Telefónica Deutschland. Mit Blick auf das Investitionsklima in der Telekommunikationsbranche hob sie hervor, dass diese in den letzten Jahren massiv und verlässlich in die mobile Infrastruktur investiert hat. Die in der Gigabitstrategie definierten Ziele der Bundesregierung – Glasfaser in jedes Haus und flächendeckend der neueste Mobilfunkstandard – seien zwar ehrgeizig, aber machbar.
Dafür müssten jedoch die Rahmenbedingungen stimmen: Es brauche klare Leitlinien, die den Ausbau der digitalen Infrastruktur voranbringen, z.B. schnellere Genehmigungsprozesse und geringere Kosten für Frequenz-Nutzungsrechte.
„Wir brauchen eine starke Industriepolitik und eine Abkehr von teuren Frequenzauktionen, um Deutschland fit für die digitale Zukunft zu machen.“
Mehr politische Unterstützung für die Telekommunikationsbranche
Dazu gehöre auch eine realistische Sicht auf die Abhängigkeit von chinesischen Herstellern bei wichtigen Komponenten für die Digitalisierung. Würde man den Zugang dieser Hersteller zum hiesigen Markt einschränken, könnten die Ziele der Gigabitstrategie nicht erreicht werden, wurde Daiber deutlich. Sie kritisierte zudem zu wenig Anerkennung durch die Politik für die Telekommunikationsunternehmen:
„Letztendlich ist es die Kommunikationsindustrie, die die digitalen Lebensadern dieses Landes als Grundlage für innovative Produkte, Wohlstand und Wachstum baut und erhält. Damit die Grundlagen stimmen, brauchen wir hier mehr politischen Fokus.“
Hinsichtlich der aktuellen Phase möglicher Veränderungen der Wirtschaft durch Künstliche Intelligenz plädierte Daiber für eine „chancenorientierte Regulierung“ für unterschiedliche Sektoren. Dabei dürfe aber nicht vergessen werden, dass innovative KI-Anwendungen nur mit der entsprechenden digitalen Infrastruktur nutzbar und sinnvoll sind.
Bereits in den ersten beiden Stunden der zweitägigen Zukunftskonferenz wurden somit zentrale Fragen und Aspekte des Wirtschaftsstandorts Deutschland thematisiert. Wer sich diese und weitere Highlights des Tags der Industrie im Nachhinein anschauen möchte, kann das hier tun.