BASECAMP_Debate über den Kampf gegen den Klimawandel: „Durch das Delta des Durchhaltens müssen wir durch!“
„Wie kommen wir vom Wissen zum Handeln in der Energie- und Klimakrise?“ war die Frage im BASECAMP von O2/Telefónica in Berlin-Mitte nur wenige Tage vor dem Berliner Volksentscheid zur Klimaneutralität schon 2030. Oder, wie es Nicole Nehaus-Laug in ihrer Begrüßung knapp zusammenfasste: „Warum tun wir nicht das, was wir wissen?“
Eine Antwort darauf gab die Transformationsforscherin und Mitbegründerin von „Scientists4Future“, Professorin Dr. Maja Göpel. Sie erläuterte, wie stark wir von den Geschichten der Vergangenheit beeinflusst sind in dem, was wir uns heute vorstellen können zu denken und zu machen. Die Narrative der Vergangenheit beschränken uns in unserer Offenheit für neue Lösungen. Oder, wie es bei Neuerungsunlustigen oft heißt:
„Das haben wir noch nie so gemacht“ oder „Das haben wir aber schon immer so gemacht“.
Dabei muss für neue Wege nicht alles neu erforscht werden, denn „Wissen schaffen ist immer etwas Kollektives“, erklärte Göpel und verwies auf den am Tag vorher erschienenen zusammenfassenden Bericht des Weltklimarats als gutes Beispiel. Doch der entscheidende Schritt sei das Denken in Systemen, der Versuch, die Welt in ihren Einzelteilen und ihren Zusammenhängen zu begreifen. Wie beeinflusst die eine Stellschraube, die wir für den Klimaschutz drehen wollen, vielleicht ungewollt andere Bedingungen im globalen Ökosystem zum Schlechteren. Das Elektro-Auto allein ist ein Fortschritt im Kampf gegen den CO2-Ausstoß, aber Autoverkehr bedeutet eben auch Flächenversiegelung.
Lösungen müssen immer für mehrere Probleme gleichzeitig gedacht werden, deshalb sei das „Silodenken“ in Fachrichtungen oder Ministerien der falsche Weg. Das Klimaschutzgesetz zwinge endlich alle Ministerien, die mit CO2-Ausstoß zu tun haben, an einen Tisch, unterstrich Göpel. Soziales und Ökologisches müsse in Eintracht gebracht, nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wachsende Produktivität bei gleichzeitigem Raubbau an der Natur führe keineswegs dazu, dass es den Menschen besser gehe. Statt einer Wohlstandsforschung brauche es eine „Wohlergehensforschung“.
Dabei wurde seit den 1980/90er Jahren viel Zeit verloren, obwohl das Wissen um die Klimagefahr schon da war. Konzerne haben abgewiegelt und eigene Studien unterdrückt, um ihr Geschäftsmodell nicht ändern zu müssen. Aber gerade das muss in der Marktwirtschaft geschehen, so Göpel, und zwar durch Vorgaben der Regierungen und der EU. Wenn die Reduzierung des CO2-Ausstoßes das entscheidende Kriterium dafür ist, den Klimawandel aufzuhalten, dann müssen CO2-Zertifikate so teuer werden, dass sie neue klimaneutrale Geschäftsmodelle erforderlich machen.
Bei O2/Telefónica, so Claudia von Bothmer, Director Corporate Responsibility & Sustainability, habe der Green Deal der EU viel in Bewegung versetzt, die Ziele und Strukturen früherer Jahre zu überdenken. Der Druck zu mehr Nachhaltigkeit sei aber auch von Kund:innen, Mitarbeiter:innen und Stakeholdern zu spüren. Und: „In einer Welt, die verliert, kann auch Telefónica nicht erfolgreich sein.“ Digitalisierung an sich sei nicht nachhaltig, aber sie könne für mehr Nachhaltigkeit eingesetzt werden, gerade im Zusammenhang mit den größten Energiefressern, den Netzen und Rechenzentren. Freiraum für Ideen sei jetzt wichtig. Für die Rechenzentren haben Mitarbeiter den jetzigen Prototyp aus eigenem Antrieb entwickelt.
Michaela Schröder, Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik bei Verbraucherzentralen Bundesverband (vzbv), bedauerte, dass die Regierung ihre Ziele und Maßnahmen wie jetzt bei den Plänen für neue Heizungen zu schlecht erläutere und bei den Hausbesitzern Unsicherheit schüre. Trotz Krise wünsche sich die überwiegende Zahl der bei ihnen Nachfragenden einen nachhaltigen Konsum. Viele könnten es sich aber generell oder jetzt in der Inflation einfach nicht leisten. Die angebotenen Hilfen müssten besser erläutert werden und bei den Produkten, etwa im Supermarkt, sollte gelten: „Die nachhaltige Wahl sollte immer die einfache Wahl sein; zurzeit ist es zu oft die Nische“.
Ein strenges Vorgehen forderten Schröder und Göpel gegen das bei Firmen immer beliebtere Greenwashing ihrer Produkte. „Greenwashing ist absolut im Kommen“, so Schröders Erfahrung. „Greenwashing muss sanktioniert werden, weil es das Vertrauen kaputt macht“, verlangt Göpel. Gewinnen würden meist nicht die ehrlichen Kleinen, sondern die täuschenden Großen. „Das ist Gift für eine Demokratie, die sich auf den Weg macht.“
Dass das Nachhaltige oft das Komplizierte ist, darauf verwies Dr. Wolfgang Gründinger, Chief Evangelist von Enpal, was von der Moderatorin Jenny von Zepelin, Leitende Redakteurin bei „Capital“, mit einem „Außenminister“ des Startups verglichen wurde. Enpal prosperiert dadurch, dass es seinen Kunden die Energieumstellung einfacher macht. Sie können Solaranlagen kaufen oder auf 20 Jahre leihen. Enpal kümmert sich mit inzwischen 1000 festangestellten Monteuren um Aufbau und Wartung und mit immerhin 80 Leuten darum, die diversen Genehmigungen für Solar, Wärmepumpe, Wall etc. einzuholen. Gründinger wünschte, die Bundesländer würden ihre Regeln und Formulare vereinheitlichen und den Firmen mehr Freiheit zum Agieren geben.
Kritik übten Göpel und Gründinger an Subventionen, die bedingungslos vergeben würden. Wolle ein Unternehmen wie Lufthansa Geld, dann solle es einen Dekarbonisierungsplan dafür vorlegen. „Kein Blankoscheck mehr“, forderte Göpel, „ich erwarte auch Committment von Unternehmen, die die Hand aufhalten“, und nicht, dass sie außer Landes ziehen, sobald die Geldspritzen enden. Mehr Transparenz über Regelungen und Subventionen will die Transformationsforscherin, und klare Ansagen, dass der Umbau von Wirtschaft und Mobilität auch „Unannehmlichkeiten“ wie Baustellen und persönliche Veränderungen mit sich bringe.
„Durch das Delta des Durchhaltens müssen wir durch!“