Desinformation und Radikalisierung im Netz: Interview mit Alice Echtermann (CORRECTIV)

Foto: Alice Echtermann | Ivo Mayr/ CORRECTIV
Foto: Alice Echtermann | Ivo Mayr/ CORRECTIV
Veröffentlicht am 23.05.2022

Die Gefahren von Desinformation und Radikalisierung im Internet gelten seit längerem als eine große gesellschaftliche Herausforderung. In unserer Interview-Reihe beleuchten wir das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Nach Rita Schwarzelühr-Sutter (MdB & Parlamentarische Staatssekretärin), Sabine Frank (YouTube) und Anna Metzentin (Journalistin) berichtet mit Alice Echtermann die Leiterin des CORRECTIV Faktenchecks über ihre Erfahrungen mit Desinformationen.

Die Radikalisierung im Internet durch Desinformation wurde mittlerweile als relevantes gesellschaftliches Problem erkannt. Doch wo fängt die Radikalisierung aus Ihrer Sicht eigentlich an? Sind digitale Plattformen ein Spiegel bereits bestehender Meinungen oder führen sie überhaupt erst dazu, dass sich Menschen vernetzen und radikalisieren?

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Foto: CC0 1.0, Pixabay / LoboStudioHamburg | Bildname: internet-whatsapp | Ausschnitt bearbeitet

Ich glaube, dass die Sozialen Netzwerke gezielt benutzt werden, um Vorurteile und Misstrauen mithilfe von Desinformation zu verstärken. Vereinfacht ausgedrückt: Wer ein starkes Gefühl hat, vom Staat vergessen oder benachteiligt zu sein, ist vielleicht anfälliger für Hetze gegen Geflüchtete, wenn sie mit Behauptungen daherkommt, dass diese angeblich nichts leisten und trotzdem bevorzugt werden. Das machen sich die Akteure, die Falschinformationen streuen, zunutze – und zusätzlich machen die Algorithmen von Facebook, Instagram & Co. es ihnen leicht. Denn die sind darauf ausgelegt, unsere Interessen zu erkennen und uns mehr vom Gleichen zu liefern. Außerdem sind das Einstiegsplattformen, wo Menschen zum Beispiel in radikale Telegram-Channels umgeleitet werden können. Eine schrittweise Radikalisierung ist so definitiv möglich.

Wo begegnen Ihnen in Ihrer Arbeit als Journalistin und Faktencheckerin am häufigsten gezielte Falschmeldungen? Sind aus Ihrer Sicht in vergangenen Jahren Veränderungen spürbar, was das Ausmaß und die „Qualität“ der verbreiteten Desinformationen angeht?

Wir finden Falschinformationen vor allem auf Telegram, Facebook und YouTube und bekommen auch viele Hinweise per WhatsApp. Blogs spielen eine große Rolle, die dort veröffentlichten Artikel werden als Link über verschiedene Plattformen gestreut. Eine starke Zunahme gab es mit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr und Sommer 2020. Seitdem gibt es viele neue Akteure, Blogger oder YouTuber, und die Fehlinformationen haben eine Qualität, die es für medizinische Laien nahezu unmöglich macht, sie zu erkennen oder zu widerlegen.

Insgesamt folgt die Desinformation der Nachrichtenlage, wie jetzt auch mit dem Krieg in der Ukraine. Es gibt also Trends, die meistens auch wieder abflauen. Aber was mir Sorge bereitet, ist, dass das Netzwerk der Verbreiter von Desinformation seit Jahren wächst und sich professionalisiert. Das ist ein richtiges Geschäftsmodell für solche Akteure geworden, mit dem sie Aufmerksamkeit und Geld generieren können.

Foto: CC0 1.0, Pixabay User memyselfaneye | Ausschnitt angepasst

Sind Sie selbst schon mal auf falsche Informationen reingefallen und haben diese verbreitet? Und wie können sich Bürgerinnen und Bürger aus Ihrer Sicht vor Manipulation in Nachrichten und im Netz schützen?

Mir persönlich ist das zum Glück noch nicht passiert. Ich teile auch nichts privat in Sozialen Netzwerken, außer vielleicht mal ein Urlaubsfoto, und bin auch auf Twitter eher zurückhaltend. Ich glaube, der beste Schutz für alle ist Medienkompetenz – und auch mehr Wissen darüber, wie richtige Journalistinnen und Journalisten arbeiten und woran man seriöse Nachrichten erkennt. Ich würde mir wünschen, dass niemand mehr etwas vermeintlich Skandalöses auf WhatsApp an Freunde weiterleitet, teilt oder postet, ohne vorher kurz überlegt oder recherchiert zu haben, ob das wirklich stimmen kann.

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