BASECAMP FishBowl: Endlich freie Fahrt für Digitalpolitik?
Die Digitalisierung war eines der großen Themen im Wahlkampf des vergangenen Jahres. Die Erwartungen an die neue Regierung sind dementsprechend hoch. Wohin steuert also die Digitalpolitik der Ampel? Um das zu diskutieren, setzten sich die digitalpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen von FDP, Bündnis 90/ Die Grünen, CDU/CSU und SPD gestern Abend an einen Tisch im BASECAMP.
Im BASECAMP wird seit Jahren über die digitale Transformation der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik diskutiert, bemerkte bei seiner Begrüßung Philippe Gröschel, Director Government Relations von Telefónica. Die Ampelregierung räumt diesen Transformationen höchste Priorität ein. So mag es nicht verwundern, dass die digitalpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen von FDP (Maximilian Funke-Kaiser), Bündnis 90/ Die Grünen (Maik Außendorf), CDU/CSU (Dr. Reinhard Brandl) und SPD (Dr. Jens Zimmermann) mit vielen Ideen zur FishBowl in die Berliner Mittelstraße kamen. Das Event mit dem Motto „Endlich freie Fahrt für die Digitalpolitik? Die Agenda der Ampel“ wurde in Zusammenarbeit mit dem Berliner Think Tank polisphere veranstaltet.
Eine lange Liste, aber der Netzausbau steht ganz oben
Moderatorin Mareile Ihde, Leiterin Digitale Kommunikation bei polisphere, stieg direkt mit einem kritischen Rückblick ein: „Was ist liegen geblieben?“, fragte sie in die Runde. Die Ampelvertreter nannten naturgemäß eine lange Liste: Außendorf betonte, dass die Entwicklung einer Bundescloud als Teil der Verwaltungsmodernisierung von der Vorgängerregierung nur halbherzig angegangen worden sei. Laut Funke-Kaiser bedarf es einer Stärkung der digitalen Souveränität – des Staates, aber auch der Individuen. Er erwähnte aber auch die digitale Infrastruktur; man müsse jetzt vor allem den eigenwirtschaftlichen Ausbau fördern. Dem schloss sich auch Zimmermann an: der Glasfaserausbau hat für ihn höchste Priorität:
„Wir brauchen in jedem Haus Glasfaser und Gigabit-Infrastruktur.“ (Jens Zimmermann)
Unter der Ampel-Regierung, bemerkte Zimmermann, wird es hier Verbesserungen geben. Sogenannte weiße Flecken auf der Landkarte sollen guten Internetzugang bekommen. Jetzt gebe es auch wieder Wettbewerb und jeder wolle in Deutschland Glasfaser bauen. Dazu müsse man aber auch die analoge Seite der Digitalisierung beachten, so der SPD-Politiker. Straßen müssten aufgerissen, Bagger bedient werden – Druck brauche es also auch bei der Bauwirtschaft.
Der digitalpolitische Sprecher der Union Reinhard Brandl zeigte sich selbstkritisch. Seine Fraktion müsse sich digitalpolitisch neu aufstellen, dafür möchte er die Zeit in der Opposition nutzen. Aber Brandl äußerte auch Kritik an der Regierung:
„Auch in der Ampel mahlen die Mühlen langsam.“ (Reinhard Brandl)
Er bemängelte, dass zum Beispiel das geplante Digitalbudget noch nicht im eben vorgelegten Haushalt vorhanden ist. Und was nicht im Haushalt steht, so der Fachmann, der seit 2009 im Bundestag sitzt, das passiere letztlich auch nicht. Es sei zu befürchten, dass 2022 ein verlorenes Jahr für die Digitalisierung werde. Zumindest wird aber das 2017 beschlossene Onlinezugangsgesetz (OZG) noch bis zum Ende des Jahres spürbar werden. Ämter und Behörden müssen bis dahin eine Vielzahl ihrer Leistungen digitalisieren.
Eine lange Liste an Vorhaben, Wünschen und Baustellen wurde schon zu Beginn am FishBowl-Tisch geäußert: Regulierung der Social-Media-Plattformen, AI-Förderung, Chips-Produktion, Datenregulierung. Aber vor allem ein Thema schien bei allen ganz oben zu stehen: Der Netzausbau als Grundlage der Digitalisierung des Landes und als Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe.
Ampel-Uneinigkeit bei digitaler Bildung: Gibt es ein Mindset-Problem?
„Und was ist mit dem digitalen Bildungsbereich?“, lenkte Moderatorin Ihde auf ein bis dahin noch unerwähnt gebliebenes Thema. Hier wurden die verschiedenen Perspektiven der Politiker deutlich. Außendorf wies auf die soziale Schieflage hin, betonte aber auch den Bedarf an Infrastruktur: Beim Glasfaserausbau wurden Schulen schlicht vernachlässigt.
„Friedhofskapellen wurden mit Glasfasern ausgerüstet, Schulen ein paar Meter weiter nicht.“ (Maik Außendorf)
Zimmermann sah hingegen Grenzen des Einflusses, den die Fraktionen des Bundestages bei diesem Thema hätten: Bildung sei eben immer noch Ländersache, der Bund könne vor allem Geld bereitstellen. Wirkung könnten aber noch eine Kompetenz-Ausweitung der Bundeszentrale für Politische Bildung oder die Angebote von Kursen in Volkshochschulen erzielen.
Aber ist die träge Digitalisierung im Land vielleicht auch eine Kulturfrage, eine Sache der Motivation? Das findet jedenfalls Zimmermann: Es seien oft nicht die Mittel, die fehlten, sondern viele Lehrkräfte stellten sich gegen Veränderungen: Das „Mindset“ müsse sich ebenfalls ändern.
Sein Koaltionskollege Außendorf stimmte zu: Auch in Verwaltungen, Krankenkassen, Ministerien gebe es schlicht „Weltmeister im Ausreden-Finden“. Es brauche daher die Bereitschaft, den Arbeitsalltag zu digitalisieren.
Der CSU-Politiker Brandl wiederum brach eine Lanze für die Lehrkräfte des Landes: Das sei ihm zu viel „Lehrerbashing“; es gebe sehr viele, die sehr engagiert und auch für Neuerungen offen seien. Auch Funke-Kaiser wolle nicht in „Pauschalisierungen“ verfallen. Schon aus persönlichen Gründen: Seine Freundin sei schließlich Lehrerin und nutze digitale Lehrmöglichkeiten mit voller Motivation.
Der Kampf gegen Desinformation: Viele Ideen, viel in Bewegung
Ob die Querdenken-Bewegung oder Russland – die monumentale Herausforderung von Desinformationen, die im Netz verbreitet werden, hat in den letzten Jahren hohe Wellen geschlagen. So ist es nicht wunderlich, dass auch die Teilnehmer der FishBowl mit einer Vielzahl an Lösungsansätzen zu dem Thema aufwarteten. Dem digitalpolitischen Sprecher der Grünenfraktion sind beispielsweise erleichterte Klagen bei Hass im Netz wichtig. Die seien derzeit noch zu langwierig und eine zu große Hürde. Der derzeit verhandelte Digital Services Act der EU könne das aber durchaus lösen, so Außendorf.
Brandl hingegen schlug eine agilere Kommunikation staatlicher Stellen vor: Der Staat müsse viel reaktiver werden. Er nannte die Website www.zusammengegencorona.de – die sei zwar gut, aber eine Website reiche schlicht nicht. Man müsse die Informationen vielmehr in Kacheln und Sharepics aufbereiten, sodass man gut aufbereitete Fakten gleich über Messenger versenden könne.
Funke-Kaiser führte die Idee weiter: Es brauche vielleicht groß angelegte Gegenkampagnen mit den wichtigsten Fakten. Nicht zuletzt müsse man auch Plattformbetreiber einbinden: Fake News müssten als solche gekennzeichnet werden – allerdings ohne, dass der Staat Meinungsfreiheit und private Kommunikation antaste.
Zimmermann meinte, dass schon vieles in Bewegung sei und lobte seine Parteikollegin Innenministerin Nancy Faeser. Denn erst durch ihren Druck habe selbst Telegram sich bewegt und Desinformation aus der Verschwörungsszene gelöscht.
Cyber, Arbeit, Außenpolitik: Überall Baustellen
Nach einer ernüchternden Diskussion über die Cybersicherheit im Land (Tenor: Wir sind noch nicht genügend geschützt und müssen resilienter werden), wurde der Gaststuhl für Fragen aus dem Publikum geöffnet. Auch hier wurden neue Baustellen benannt und diskutiert: Wie sieht es mit der digitalen Arbeitswelt aus? Was bedeutet digitale Außenpolitik? Und wie steht es um den digitalen deutschen Wirtschaftsstandort?
In Sachen Digitalisierung – sei es in der Gesellschaft, Wirtschaft oder Politik – mangelt es nicht an Aufgaben und Herausforderungen. Das wurde sehr deutlich. Und doch gibt es für jede Baustelle eben auch eine Vielzahl an Ideen, mit denen die anwesenden digitalpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen in einer immer wieder auch leidenschaftlich geführten Diskussion aufwarten konnten. Ein wenig spürte man an diesem FishBowl-Abend, um es mit einem Lieblingswort der Ampelkoalition zu sagen, den Aufbruch.
Mehr Informationen:
Digitale Infrastruktur: Die Eckpunkte der Gigabitstrategie
Europäisches Datengesetz: Worum geht es beim Data Act?
Neue Bundesregierung: Die Digitalisierung im Koalitionsvertrag