Der Kampf gegen Desinformation im Netz: Ein gesellschaftlicher Marathon
„Wir brauchen den gegenseitigen Austausch und die Debatte“, erklärt Markus Haas, Vorstandsvorsitzender von Telefónica Deutschland, in seiner Grußbotschaft zum Start der Basecamp Themenwoche „Deutschland 2025 – Wie digital wird unsere Gesellschaft?“.
Die erste Veranstaltung dieser Themenwoche griff dabei gleich ein besonders wichtiges Thema auf, nämlich „Faktisch betrachtet: Fit gegen Fake News“. Diese Diskussion bietet ein Resümee der Informationskampagne der Stiftung Digitale Chancen und Telefónica/O2 im Rahmen des Projekts „Digital mobil im Alter“ gegen Desinformation im Netz, die sich mit Erklärvideos, Gesprächsrunden, Checkliste, Quiz und Tipps gegen die sogenannten Fake News im Vorfeld der Bundestagswahlen besonders an die digital mobilen Senioren wandte.
Falschnachrichten und Verschwörungen sind kein neues Phänomen
Moderator Daniel Finger, der drei Gesprächspartner:innen auf der Bühne und drei per Video zugeschaltete Gäste begrüßen konnte, begann die Diskussion mit einem Blick zurück: Er fragte Katharina Nocun, Autorin zweier Bücher zum Thema Fake News, ob Verschwörungserzählungen im digitalen Zeitalter ein neues Phänomen seien. „Keineswegs“, so die Wissenschaftlerin, Behauptungen wie etwa eine „jüdische Weltverschwörung“ seien sehr alt. Nocun erklärt weiter, dass Menschen insbesondere in Situationen, in denen sie einen Kontrollverlust und Unsicherheit empfinden, dazu neigen, Falschinformationen und besonders Verschwörungserzählungen zu glauben. Sie betonte aber auch, dass man Verschwörungserzählungen, die komplexe Geschichten vom angeblich „absolut Bösen“ seien, von Fake News abgrenzen müsse.
Ann Cathrin Riedel, Vorsitzende von „LOAD – Verein für liberale Netzpolitik“ und Referentin für Digitalisierung und Innovation bei der Friedrich-Naumann-Stiftung, bat darum, den Begriff „Fake News“ zu meiden. Zum einen sei der Begriff von Donald Trump eingeführt worden, um die seriöse Presse zu denunzieren, und zum zweiten sollte man Falschnachrichten wie die berühmte „Zeitungsente“, die aus Versehen passierten, abgrenzen von beabsichtigten und systematischen Desinformationen, die einem meist politischen Ziel dienten. Gefährlich seien Falschnachrichten außerdem nicht nur in Textform, bedenklich seien vor allem viele gefälschte oder aus dem Zusammenhang gerissene Bilder und Videos.
Doch nicht allein Fälschungen bestimmen zu Teilen das Internet, auch Hassbotschaften verbreiten sich mit zunehmender Geschwindigkeit. Nora Mathelemuse vom Institute for Strategic Dialogue (ISD Global) gegen Extremismus, Hass und Desinformation im Netz, untersucht die öffentlich zugänglichen Posts auf den Plattformen der Sozialen Medien und in den Messenger-Diensten nach Hassbotschaften und befürchtet, dass der Dunkelbereich in geschlossenen Gruppen noch weit größer ist.
Im Netz sind wir unser eigener Chefredakteur
Dass auch Expert:innen auf Desinformation hereinfallen können, bestätigte Alexander Sängerlaub, Journalist, Wissenschaftler und Direktor von „futur 1“. Vor allem, wenn es den eigenen Auffassungen nahe kommt, sei man gefährdet, auf Falschinformationen hereinzufallen. Deshalb beschäftigt sich „futur 1“ damit, Resilienz, Konstruktivität und unabhängige journalistische Angebote zu fördern, denn
„die gemeinwohlorientierte Öffentlichkeit ist keine demokratische Selbstverständlichkeit, sondern muss fortwährend errungen, verteidigt und weiterentwickelt werden“.
Während Zeitungsleser:innen bereits eine Auswahl an überprüften Nachrichten und gekennzeichneten Meinungsbeiträgen serviert bekommen, sagte Sängerlaub, „sind wir im Netz unser eigener Chefredakteur und müssen die ganze Arbeit der Redaktion selber machen“. Anfälligkeiten für Desinformation gebe es in allen Altersgruppen, nicht nur bei Senior:innen. Die Medien- und Informationskompetenz der Bevölkerung müsse insgesamt erheblich gesteigert werden. Mit mehr Berichten darüber, zum Beispiel in den öffentlich-rechtlichen Programmen, wie Nachrichtensendungen und Dokumentationen entstehen, könne man diese dringend nötige Medienbildung sehr fördern und damit auch das Vertrauen in seriöse Medien stärken, meinte Sängerlaub.
Dr. Barbara Keck, Geschäftsführerin der Service-Gesellschaft der BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen), berichtete, dass Seniorinnen und Senioren sehr interessiert seien an den Informations- und Bildungsangeboten des „Digitalkompass“ für alle Fragen rund ums Internet und Digitales. Die Frage, was richtig und was falsch ist, sei in einer freiheitlichen Gesellschaft oft nicht so einfach unterscheidbar, gab sie zu bedenken.
Haben Falschnachrichten die Bundestagswahl beeinflusst?
Am Telefon hat Elke Schilling, Gründerin von Silbernetz e.V., einem telefonischen Dialog-Angebot gegen Einsamkeit im Alter, teils auch aufgebrachte ältere Menschen, die von Informationen aus dem Internet verunsichert sind. Sie hat den Widerhall von Gerüchten über Politiker und vor allem Politikerinnen im Bundestagswahlkampf direkt in den Gesprächen wahrgenommen und dabei den Eindruck gewonnen, dass Gerüchte und Unterstellungen in den Sozialen Medien die Wählerumfragen stark beeinflusst haben.
Seriös könne man das Ausmaß solcher Beeinflussung aber nicht in Zahlen angeben, meinte Sängerlaub. Wissenschaftliche Aussagen seien dazu nicht möglich, stimmten auch Mathelemuse und Nocun zu. Wenn man aber sehe, so Nocun, dass über 600.000 Wähler:innen für die Partei „Die Basis“ gestimmt hätten, die von Verschwörungsmythen lebe und jetzt wohl Bundesmittel wegen der mehr als einem Prozent Zweitstimmen erhalte, und viele gewählte und prominente AfD-Politiker:innen seit Jahren mit Verschwörungserzählungen wie einem geplanten „Bevölkerungsaustausch“ agieren, dann werde ein bedenkliches Ausmaß an Einfluss sichtbar.
Mehr Informationsveranstaltungen und viele Diskussionen zum Thema Desinformation wünschte sich Barbara Keck zum Abschluss der Debatte. Gerade für die Seniorinnen und Senioren sei ein solcher Austausch wichtig, damit man über das eigene Erleben in der digitalen Welt diskutieren und nachdenken kann.
Sicher sei auch eine Regulierung der Plattformen notwendig, so Ann Cathrin Riedel, dazu gebe es den Gesetzesvorschlag der EU, den Digital Services Act, denn es könne nicht die Entscheidung der Plattformbetreiber allein sein, wer und was gesperrt werde. Die Algorithmen, die gerade durch eine Whistleblowerin bei Facebook an die Öffentlichkeit gekommen sind, weil sie Negatives systematisch verstärkten, müssen offengelegt werden, verlangte Katharina Nocun.
„Lügen ist gesetzlich nicht verboten“, erinnerte Riedel.
Moderator Finger zeigte sich am Ende der Debatte dennoch überzeugt, dass „das Digitale uns Gutes bringen kann, wenn wir als Gesellschaft daran arbeiten“. Das sei allerdings kein Sprint, sondern ein Marathon.