Datenstrategie: Regierung interessiert an Treuhänder-Modellen
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Die Regierung erhöht das Tempo bei der Datenstrategie, denn die EU-Kommission will schon im Februar eine eigene Strategie beschließen. Bei einer vom Kanzleramt organisierten Öffentlichen Anhörung trafen Wirtschaft, Wissenschaft und Verbände aufeinander. Besonderes Interesse zeigte Helge Braun an Modellen zu Datentreuhändern.
Deutschland braucht eine Strategie für den Umgang mit Daten. Davon ist auch die Bundesregierung überzeugt, die im November bereits Eckpunkte dafür vorstellte. Zum Start des Beteiligungsprozesses hat Kanzleramtsminister Helge Braun am Donnerstag, den 23. Januar, Vertreter*innen der Wissenschaft, Wirtschaft, Verbände und Zivilgesellschaft zu einer Öffentlichen Anhörung eingeladen, die live im Internet verfolgbar war. Der Fahrplan sieht nun vor, Ende Februar eine breite Online-Konsultation zu starten, mit dem Ziel, die Strategie vor der Sommerpause fertigzustellen. Themen der Anhörung waren die verschiedenen Standpunkte der Akteur*innen zu Problemen und Maßnahmen für die Datenstrategie. Braun interessierte sich besonders für Modelle von Datentreuhändern, wie die Standardisierung von Daten optimiert werden könnte und welche Ideen es für die Portabilität, also die Mitnahme von Daten bei einem Anbieterwechsel, gibt. Der letzte Punkt wurde allerdings nicht weiter diskutiert.
EU kündigt Datenstrategie für Februar an
Druck auf die Bundesregierung, ein höheres Tempo bei dem Thema einzulegen, kommt aus Brüssel. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatte am vergangenen Montag eine europäische Datenstrategie gemeinsam mit einer KI-Strategie bis 19. Februar angekündigt.
An der Anhörung des Kanzleramts waren 15 Sachverständige aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Behörden beteiligt. Für die Wissenschaft sprachen: Boris Otto, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik ISST, Regina Riphahn, Mitglied im Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten, Wolfgang Marquardt, Leiter des Forschungszentrums Jülich, Irene Bertschek, Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Digitale Ökonomie“ und Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung, Jens-Peter Schneider, Mitglied der Wettbewerbsrechtkommission 4.0.;
Von Verbänden und aus der Zivilgesellschaft: Katharina Zweig, Professorin für Informatik an der TU Kaiserslautern/AlgorithmWatch, Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21, Ingo Dachwitz, Redakteur bei Netzpolitik.org, Susanne Dehmel, Geschäftsführerin Bitkom;
Für die Wirtschaft: Peter Post, Leiter Forschung bei der Festo AG und Mitglied der Plattform Industrie 4.0, Christoph Peylo, Leiter des Bosch Center of Artificial Intelligence, Thani Shamsi, Gründer des KI-Start-ups Datarade, Frank Karlitschek, Gründer von Nextcloud;
Für Behörden: Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts.
Frust über Datenschutz
Durch die Standpunkte der Sachverständigen traten zwei Positionen hervor: Einerseits die Wirtschaft, die den Datenschutz oft als Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit sieht und andererseits Zivilgesellschaft und Datenschützer*innen, die diesen für ein hohes Gut und Alleinstellungsmerkmal Deutschlands halten. Datenschutz sei nicht optional, sondern vom Grundrecht abgeleitet, sagte Kelber. Die Datenstrategie solle dafür sorgen, den Bürger*innen die Hoheit über ihre Daten zu geben.
Nicht nur das viel zitierte Beispiel des US-Bundesstaates Kalifornien orientiere sich an der DSGVO, sondern auch Japan, Korea, Indien und Brasilien. Man müsse endlich aus dem „Jammer-Modus“ herauskommen, die Datenethikkommission habe dafür schon 75 Empfehlungen abgegeben, wie zum Beispiel datenschutzfreundliche Innovationen möglich sind oder zu Datentreuhändern, betonte Kelber. Die Regierung sollte nicht dem „Sackgassenpfad der Datenschutzlockerung“ folgen. Karlitschek von Nextcould forderte die Unternehmen auf, sich nicht auf ein „Aufholrennen mit USA und China“ zu fokussieren, sondern auf die Stärken zu besinnen. Diese lägen in dezentralen Systemen und nicht in zentralen Datensilos, offenen Standards, da Open Source Demokratisierung und Überprüfbarkeit ermögliche sowie dem Datenschutz als ein Wettbewerbsvorteil, beispielsweise bei selbstfahrenden Autos und für IoT-Anwendungen.
Unternehmen wünschen sich DSGVO-Anleitung
Thani Shamsi von Datarade verwies darauf, dass es zur Datennutzung sehr widersprüchliche Studien gebe. Außerdem sieht er eine weit geöffnete Schere zwischen einerseits Start-ups, die bereits neue Lösungen entwickeln und mittelständischen Unternehmen, die noch mitten in der Digitalisierung stecken. Eine Herausforderung für Unternehmen sei der Zugang zu Daten, die kaum standardisiert seien und deren Einbindung aufwendig sei. Durch den Fachkräftemangel fehle es außerdem an Kompetenzen. Post von Festo sowie Peylo von Bosch forderten eine bessere Infrastruktur. Die europäische Cloud-Plattform Gaia-X sei ein Schritt in die richtige Richtung, so Post. Peylo sprach sich grundsätzlich für die DSGVO aus, sie überfordere aber und mache eine aufwendige und komplexe Struktur zur Datenhaltung und Speicherung nötig, die Lern- und Trainingsprozesse kompliziert, aufwendig und teuer mache. Er wünscht sich Handreichungen der Aufsichtsbehörden, die Best-Practice-Methoden erklären.
Kernanliegen mehrere Wissenschaftler*innen ist der Zugang zu öffentlichen Daten der Verwaltung, wie Kriminalitäts- oder Steuerdaten, in hoher Datenqualität. Als Problem nannte Bertschek bestehende Löschpflichten nach Beendigung von Forschungsprojekten, die Forschungsergebnisse im Nachhinein schwer nachprüfbar machten und somit gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis verstießen.
Zivilgesellschaft lenkt Fokus auf Gemeinwohl
Vertreter*innen der Zivilgesellschaft sehen derzeit einen zu starken Fokus auf Daten als Ressource. Es müssten mehr Kompetenzen vermittelt werden, wie es etwa Finnland tue, das sich zum Ziel gesetzt hat, ein Prozent der Bevölkerung mit Grundkompetenzen auszustatten, sagte Müller von D21. Sie regte analog zur Zentrale für politische Bildung eine Zentrale für digitale Bildung an. Dachwitz von netzpolitik.org fordert einen Paradigmenwechsel: Bei Innovationen müsse es um das Gemeinwohl gehen.
Daten seien ein Machtfaktor, nicht bloß ein Rohstoff. Datenschutz sei nicht der Feind. Er forderte mehr Anstrengungen bei der Anonymisierung von Daten, Open Data und echte Transparenz, bei der der Staat vorangehen sollte. Auch im Beschaffungswesen sollte gelten: öffentliches Geld = öffentliches Gut. Um Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu schaffen, müsste Recht auch online konsequenter durchgesetzt werden. Was offline selbstverständlich sei, müsse auch in der Online-Welt gelten, forderte Mundt, Präsident des Bundeskartellamts.
Treuhänder-Modelle im Fokus
Kanzleramtsminister Braun will mit der Datenstrategie „den unterschiedlichen Interessen und Erwartungen der Gesellschaft gerecht werden“. Ein Modell, das die Datenethikkommission empfohlen hat, sind Datentreuhänder. Auf die Vorschläge verweist Kelber. Der Treuhänder müsse eine Institution sein, die eine Einwilligung bekommt und dann die Pseudonymisierung und Anonymisierung von Daten vornimmt. Er müsse uneigennützig sein. Außerdem müssten Anwender die Treuhänder wie Nutzer behandeln, was rechtlich zu klären sei. In den Eckpunkten der Datenstrategie werden Treuhänder unter dem Punkt „Datenbereitstellung verbessern und Datenzugang sichern“ erwähnt. Die Bundesregierung wolle analysieren „welchen Beitrag vertrauenswürdige Datenräume und Strukturen von Datentreuhändern leisten können, um das freiwillige Teilen von Daten zu verstärken“, heißt es in den Eckpunkten weiter.
Unternehmen würden Daten teilen, wenn die Nutzung transparent ist, sagte Otto. Es brauche eine vertrauenswürdige Stelle, die Software und Algorithmen zertifiziere. Open Source sei eine gute Option, da nachvollziehbar sei, was die Software tue. Aus Sicht der Wissenschaft hält Riphahn Treuhänder für geeignet, um Datensätze für die Forschung zu verknüpfen. Eine klare Rolle und Kompetenzen für den Datentreuhänder hält Peylo für essentiell. Dehmel vom Bitkom-Verband ordnet Datentreuhänder ebenfalls unabhängig vom Staat und Privatwirtschaft ein, jedoch müsse diese Stelle finanziell abgesichert sein und über das nötige Know-how verfügen. Problematisch sei die Trennung zwischen Maschinen- und Personendaten, denn die Grenzen seien hier fließend, gab Dehmel zu Bedenken. Hier könnte der Treuhänder Sicherheit bieten.
Standards setzen und einfordern
Zu den vier Handlungsfeldern der Eckpunkte der Datenstrategie gehört neben der besseren Datenbereitstellung, einer verantwortungsvollen Nutzung und der Erhöhung der Datenkompetenz auch das Ziel, den Staat zum Vorreiter zu machen. Riphahn sieht den deutschen Föderalismus als Bremsklotz bei Standards, der dazu führe, dass aufgrund unterschiedlicher Formate niemand mit den Daten arbeiten könne. Dies sei ein großer Auftrag. Außerdem müsse Kompetenz in der Verwaltung aufgebaut und die Infrastruktur verbessert werden. Mundt forderte mehr Unterstützung für Behörden. Der Staat müsse bei sich selbst anfangen, sagte Shamsi. Er solle „radikal transparent mit eigenen Daten umgehen“. Otto erhofft sich Regeln zur Datennutzung, die Faktoren, wie die Nutzung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder gegen Gebühr festlegen. Es brauche maschinenlesbare Regeln, die eine Grundlage für Datennutzungsverträge sein können. Der Staat sollte die Einhaltung von Standards einfordern.
Tagesspiegel Politikmonitoring
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf der Website des BASECAMP.