Startups im Aufwind: UdL Digital Talk mit Regierendem Bürgermeister
Beim 45. UdL Digital Talk am 26. Juli ging es im BASECAMP nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen heiß her. Wie kann Berlin vom Brexit profitieren? Warum ist es manchmal besser, das Studium sausen zu lassen? Und werden wir bald unsere Behördengänge auch auf Englisch erledigen können? Das waren nur einige der Fragen, über die der Regierende Bürgermeister Michael Müller und der ResearchGate-Gründer und CEO Ijad Madisch diskutierten.
Seit 2014 ist Michael Müller der Landesvater und prägt schon seit vielen Jahren die Politik in der Bundeshauptstadt. Seitdem die Hauptstadt einen Boom als Startup-City erlebt, beschäftigt er sich mit Fragen, wie in der Gründermetropole nachhaltiger Wachstum erzeugt wird und wie wir davon profitieren können. „Wir haben schon auch Glück gehabt, aber wir haben auch einige richtige politische Entscheidungen getroffen und die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen“, beschreibt der Regierende die Entwicklung in seiner Stadt.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich Berlin zu einem Magneten für junge, kreative Gründer aus aller Welt entwickelt. Das war nicht immer so. Kurz nach der Wende lag die Quote der Selbständigen bei rund sieben Prozent. Heute sind das doppelt so viele. „Berlin ist geiler als Boston, San Francisco und London“, sagt Ijad Madisch. Er muss es wissen, denn der Goldjunge von Bill Gates war schon überall auf der Welt.
Er studierte in Harvard, gründete sein Unternehmen ResearchGate in Boston, traf Bill Gates in Paris, um die Anschubfinanzierung für sein Projekt zu bekommen und ist doch in der Spree-Metropole gelandet: Seit 2010 ist der Sitz des größten sozialen Netzwerks für Forscher in Berlin. Zehn Millionen Mitglieder und 250 Mitarbeiter zählt ResearchGate.
Erste Frage: Wie bekommt man Geld von Bill Gates?
Natürlich will jeder die Story hören, wie Ijad Madisch es geschafft hat, Bill Gates zu begeistern.
Freunde von Freunden, langsames stetiges Aufbauen von Beziehungen und schließlich der langersehnte Termin mit Gates persönlich, so ähnlich beschreibt das Ijad.
Zuerst gab es aber einen Korb. „Mr. Gates investiere nicht in Tech-Startups, die Invest–Summe sei zu hoch“ hieß es zunächst. Ijad blieb dran und konnte schließlich vor allem mit seiner Vision von einer besseren Welt überzeugen: „Mit der Öffnung der Wissenschaft können wir die Gesellschaft zum Positiven verändern“, glaubt er fest.
„Finanziell können wir mit Bill Gates nicht mithalten“, gibt Michael Müller zu. „Wir können aber Bedingungen schaffen, die ein gutes Arbeiten ermöglichen.“ Durchschnittlich 1400 Gründungen gibt es pro Jahr, 500 davon sind Tech-Startups, sagt Berlin Partner. Michael Müller erklärt beim Udl Digital Talk außerdem, dass es im letzten Jahr 40.000 Zuzüge gab, die wiederum 55.000 neue Arbeitsplätze befördert haben.
Wichtiges Thema: Wie nachhaltig ist der Startup-Boom?
Die Neugründungen sind aber nur dann besonders wertvoll für die heimische Wirtschaft, wenn sie zu schnell wachsenden Unternehmen, zu sogenannten Gazellen werden. Aber so eine Gazelle ist nicht umsonst flink und schnell auf den Beinen: Solang die Unternehmen klein sind, sind sie auch besonders mobil. Es ist also nicht auszuschließen, dass sie nach einer erfolgreichen Gründung Berlin wieder verlassen.
„Wie nachhaltig ist die Entwicklung der Startup-City?“, fragt also der Moderator Cherno Jobatey seine Gäste an diesem Abend. „Wir tun alles, um die Situation zu verstetigen“, antwortet Michael Müller. „Zusatz-Investitionen im Hochschul-Bereich, das Sichern der Flächen, das Vernetzen mit anderen internationalen Partnern tragen viel zum nachhaltigen Wachstum bei. Wir sind seit Jahren über dem Bundesdurchschnitt.“ Wachstum in Berlin finde statt, stellt er fest. Damit es auch so bleibt, soll sich auch die Verwaltung modernisieren und digitalisieren, die Kooperation von etablierten Firmen und Startups gefördert werden.
„Wir Startups kümmern uns selbst um die eigene Nachhaltigkeit“, macht Ijad Madisch deutlich. „Wir wollen auch unabhängig von politischen Entscheidungen agieren können und selbst etwas aufbauen.“ Gebraucht würden vor allem nachhaltige Business-Modelle und Produkte. Nur sie haben die Chance, auch noch in fünf oder zehn Jahren zu bestehen. Und überhaupt solle man die Startup-Szene in Ruhe lassen. „Regularien kommen von Leuten, die nicht verstehen wie wir funktionieren und was wir brauchen. Eine finanzielle Förderung brauchen und wollen wir nicht.“
Beste Lösung: Bedarfsgerechte Ausbildung
Was Madisch und andere Gründer aber sehr wohl brauchen, ist talentierter und gut ausgebildeter Nachwuchs: „In der Ausbildung muss nachgedacht werden, was man besser machen kann“, wünscht sich der ResearchGate-Gründer und berichtet, dass er schon viele junge Leute auch ohne einen offiziellen Ausbildungsplatz ausgebildet hat. Die Verbesserungen sollten schon an den Schulen ansetzen. „Beispielsweise vergessen wir, wie wichtig Informatik ist.“ Programmieren sei eine der wichtigsten Sachen, die wir heute lernen sollten. Wenn wir in 30 oder 40 Jahren noch international mithalten wollen, müssten bereits jetzt die jungen Generationen darauf vorbereitet werden.
„Mir ist es einfach zu bürokratisch. Da brauchen wir mehr Dynamik!“ Auch die Universitäten müssten sich für neue Konzepte öffnen, flexibler und zielgerichteter lehren. Madisch rät sogar provokativ: „Nehmt eine Auszeit vom Studium, oder hört einfach ganz auf, um Zeit zu sparen!“ Studium sei nicht das Allheilmittel, das vermittelte Wissen sei nicht im vollen Umfang relevant. „Wissen kann und soll demokratisiert werden“, ist sein Appell.
Weitere Entwicklung: Welchen Weg geht Berlin?
Berlin bleibt international: Mittlerweile wird fast jedes zweite Unternehmen von ausländischen Mitbürgern gegründet, sagt das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. So hat auch ResearchGate wenig Sorgen, vielversprechende Fachleute auch aus dem Ausland anzuwerben. „Es läuft immer besser und einfacher mit den Visa-Angelegenheiten“, lobt der CEO die Berliner Verwaltung.
„Werden wir vom Brexit profitieren?“, fragt Cherno Jobatey direkt. Michael Müller ist vorsichtig optimistisch: „Berlin hat viel zu bieten und wirbt weiterhin erfolgreich mit seiner Marke. Mittelfristig glaube ich durchaus, dass wir gute Chancen haben, vom Brexit zu profitieren. Diejenigen, die jetzt ihre Investitions- und Standortentscheidungen treffen, setzen auf offene Märkte und Planungssicherheit, daher sieht es gut für uns aus.“
Ijad Madisch hat wohl ohnehin Berlin schon immer vor London gesehen. „Berlin hat gegenüber London ein Paar entscheidende Vorteile: die Preise, die Mieten, die lebendige Sport-, Musik-, und Kulturszene.“ Berlin werde seinen Weg schon machen.