Europa: Was bringt die EU?
In knapp einem Monat findet die Wahl zum Europaparlament statt – voraussichtlich sogar in Großbritannien. Seit der ersten Direktwahl 1979 sank die Wahlbeteiligung von 63 Prozent der Wahlberechtigten auf 43,1 Prozent bei der Wahl 2014. Auch deshalb rührt das Europaparlament fleißig die Werbetrommel, um mehr Menschen für den Wahlgang zu gewinnen.
Passend dazu, veröffentlichte der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments (EPRS) eine Studie zu den ökonomischen Vorteilen der EU. Diese taxiert die Denkfabrik auf jährlich 2,213 Billionen Euro. Das entspricht circa 14 Prozent des gemeinsamen Bruttoinlandprodukts (BIP) der EU im Jahr 2017. Diese „zwei Billionen Euro Dividende“ könne die EU und ihrer Mitgliedsstaaten einkassieren, wenn zwischen 2019 und 2029 die vom EU-Parlament befürworteten Vorhaben beschlossen und umgesetzt werden.
Wirtschaftliches Potenzial in 50 Bereichen
Die wirtschaftlichen Vorteile der EU-Politikinitiativen können als zusätzlich entstehendes Wachstum des BIPs oder Kosteneinsparungen durch Effizienzgewinne gemessen werden. Zum Ersten zählen laut der Studie zum Beispiel Multiplikatoreneffekte, die aus einem gemeinsamen Digitalen Binnenmarkt entstehen würden. Insgesamt untersuchte die Denkfabrik 50 Bereiche in zehn Politikfeldern, in denen EU-Vorhaben wirtschaftliche Potenziale freisetzen können.
Den größten Anteil der zehn Politikbereiche an der zwei Billionen Euro Dividende nimmt der „klassische“ gemeinsame Binnenmarkt ein, mit einem Potenzial von 713 Milliarden Euro. Die Digitalwirtschaft, zu dem auch der digitale Binnenmarkt gezählt wird, trägt rund 178 Milliarden Euro zur Dividende bei. Das drittgrößte Potenzial steckt mit 322 Milliarden Euro in der Wirtschafts- und Währungsunion, das zweitgrößte mit 502 Milliarden Euro im Umwelt-, Energie- und Forschungsbereich. Dieser beinhaltet auch die Innovationstechnologien Robotertechnik und Künstliche Intelligenz.
Die digitale Dividende
In Sachen Digitalisierung werde ein gemeinsames Handeln auf EU-Ebene in den kommenden zehn Jahren auf verschiedene Wege Vorteile bringen. Die Schaffung eines gemeinsamen digitalen Binnenmarkts, wie er bereits 2015 mit einer Strategie der EU-Kommission und 2016 mit einem Beschluss des EU-Parlaments auf den Weg gebracht wurde, könne jährlich je nach Schätzung circa 110 Milliarden Euro (oder wesentlich mehr) für das BIP der EU bedeuten. Von einem gemeinsamen digitalen Binnenmarkts profitieren unter anderem E-Commerce, E-Procurement, elektronische Bezahlung und Rechnungslegung, E-Government, Cloud Computing und online oder alternative Streitbeilegung.
EU-Vorhaben zur besseren Internetkonnektivität könnten in den nächsten 10 Jahren 0,4 Prozent mehr BIP bedeuten, das heißt circa 58 Milliarden pro Jahr. Hier spielen vor allem Initiativen zu schnellerem Breitbandausbau eine große Rolle. Die Erneuerung des gesetzlichen Rahmens für die Cybersicherheit, die von den EU-Institutionen befürwortet wird, hat laut Studie ein Potenzial von 10 Milliarden Euro.
KI, Roboter und autonomes Fahren
Neben der Digitalwirtschaft berechnete das EPRS auch die Vorteile der Forschung und Anwendung von Zukunftstechnologien. Allein das 2018 von der Kommission entworfene Programm Horizon Europe zur Forschungsförderung könne ein jährliches BIP-Wachstum von 40 Milliarden Euro bedeuten. Ein „enormes wirtschaftliches Potenzial“ sieht die Denkfabrik in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Robotik. Mit einer angemessenen Regulierung könnten diese Technologien nicht nur die Lebensqualität der EU-Bürger verbessern, sondern auch den Unternehmergeist stärken. Insgesamt könnten EU Regulierungen und Initiativen Effizienzgewinne in Höhe von 206 Milliarden Euro jährlich generieren.
Auch im Automobilbereich würden EU-Maßnahmen zu einem wirtschaftlichen Wachstum führen. Im Bereich Autonomes Fahren beziffert das EPRS das Potenzial auf 29,6 Milliarden Euro im Jahr. In puncto Datensicherheit wird in der Studie auf die „positive“ Wirkung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hingewiesen. Trotzdem bestehe immer noch Handlungsbedarf, um Bürgerrechte zu schützen. Dies könne aber auch ökonomisch von Vorteil sein. Die Denkfabrik des EP beziffert die potenziellen Einsparungen für die europäische Wirtschaft durch die Weiterentwicklung der gemeinsamen Datenschutzregeln auf 3,25 Milliarden Euro jährlich.
Die Autoren sehen ihre Studie als Beitrag zur Diskussion über die Prioritätensetzung der EU für in den kommenden fünf Jahren. Ob die ökonomischen Vorteile einer geeinten Europäischen Union auch dazu beitragen, mehr Bürger an die Wahlurnen zu bringen, werden die Zahlen zur Wahlbeteiligung Ende Mai zeigen.