Bundestagswahl 2017: FDP zieht mit digitaler Bildung in den Wahlkampf
Vergangene Woche beschloss Die Linke ihr Programm für die Bundestagswahl in Hannover, nächste Woche folgen Bündnis 90/Die Grünen. Die Sozialdemokraten treffen sich am 25. Juni zu einem Außerordentlichen Bundesparteitag in Dortmund. Spätestens Anfang Juli soll dann auch das gemeinsame Programm von CDU und CSU fertig sein.
Den Anfang aber machten zwei Parteien, die nicht im Bundestag vertreten sind. Die AfD beschloss ihr Wahlprogramm bereits am 23. April auf dem Kölner Parteitag. Darin sind kaum Aussagen zur Netzpolitik enthalten. Zum einen gibt es die Forderung nach Breitbandausbau und staatlicher Unterstützung für flächendeckenden Internetanschluss aller Haushalte, klein- und mittelständischer Betriebe in Deutschland. An anderer Stelle fordert die rechtspopulistische Partei eine nationale Sicherheitsstrategie, die auch gegen „Cyberangriffe“ gerüstet sein soll.
Anders sieht es im Wahlprogramm der FDP aus, die ihres am 29. April beim Bundesparteitag in Berlin beschloss und noch am selben Tag online stellte. Die Partei zählt in der Einleitung zu ihrem Beschluss die Digitalisierung zu den zentralen Herausforderungen und gleichzeitig Chancen für Deutschland und nimmt entsprechend ausführlich Stellung zu netzpolitischen Themen.
Weltbeste Bildung = digitale Bildung
Das Hauptthema, mit dem die FDP in den Wahlkampf zieht, ist die Bildungspolitik. Mit digitaler Bildung für alle Alters- und Ausbildungsstufen will die Partei Deutschland wieder zur „weltweit führenden Bildungsnation“ machen. Dazu müsse der Bildungsföderalismus überwunden werden und die Finanzierung der Bildungsoffensive als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert werden. Konkret fordert die FDP in ihrem Antrag einen Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern, der den Ausbau der digitalen Infrastruktur regelt.
Nötig seien Ausgaben für neue Technik und digitale Lernmittel in Höhe von 1.000 Euro pro Schüler. Auch in Sachen Medienkompetenz sieht die Partei Handlungsbedarf. So müsse „von klein auf“ Medien- und Methodenkompetenz gefördert werden, sodass Schüler ein „Verständnis über die Funktionsweise von informationstechnischen Systemen, künstlicher Intelligenz und Computersprache“ erlernen. Methodisch spricht sich die FDP für digital unterstützte Methoden wie „Open Book Tests“ oder den Einsatz internetfähiger Geräte in Prüfungssituationen aus. Das digitale Lernen soll nicht nach Abschluss der Schule aufhören, jeder soll sich nach Vorstellung der FDP mit Hilfe von „Massive Open Online Courses“ (MOOC) auch im Beruf fort- und weiterbilden können.
Digitale Wirtschaft
Dass die Digitalisierung die Wirtschaft „umformt“, stellen die Freien Demokraten gleich zu Beginn fest. Wie dieser Wandel gestaltet werden kann, wird unter anderem im zweiten Kapitel des Wahlprogramms – „Vorankommen durch eigene Leistung“ – diskutiert. Um Start-ups in Deutschland zu fördern, will die FDP die „Gründerkultur vorantreiben“. Zu den Ansätzen dafür gehört für die FDP, Start-ups ein „bürokratiefreies Jahr“ zu ermöglichen und sie bei den Kammerbeiträgen zu entlasten. Mit einem Venture-Capital-Gesetz sollen die steuerlichen Rahmenbedingungen für Wagniskapital verbessert werden. Außerdem wünscht sich die Partei einen „zeitgemäßen Rechtsrahmen“ für die Sharing Economy, der „Freiheit zur Entwicklung“ lässt. Konkrete Vorschläge zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes und der Regelungen für Wohnraumvermietung sollen es Plattformen einfacher machen, am hiesigen Markt zu agieren.
Im europäischen digitalen Binnenmarkt will sich die FDP dafür einsetzen, „regulierungsbedingte Barrieren“ abzubauen. Ferner fordern die Freien Demokraten eine Open-Data- und Open-Government-Strategie für Deutschland. Neben den Vorteilen, die Transparenz für Bürger allgemein bringen soll, berufen sie sich in ihrem Programm auf Studien, die Open Data ein enormes Wertschöpfungspotenzial attestieren. Außerdem will die FDP das „Wettbewerbsrecht fit für die Digitalisierung machen“. Zur Erklärung heißt es ferner: „Wir sprechen uns […] dafür aus, dass die Fusionskontrolle der nationalen und europäischen Kartellbehörden nicht nur bei Überschreitung bestimmter Umsatzschwellen greift, sondern zusätzlich auch bei überschreiten festgelegter Transaktionswerte beim Kauf eines Unternehmens.“
Ein „modernes Urheberrecht“ nach Vorstellung der FDP müsse die „berechtigten Interessen von Nutzern und Investoren“ berücksichtigen. Ein einfacher Rechteerwerb und unbürokratische transparente Beteiligung der Urheber an der Verwertung ihrer Werke müssten eingeführt werden. „Technische Lösungen“ sind laut der FDP gut geeignet, diesen Prozess zu automatisieren. Im Rahmen der Ausführungen zur digitalen Wirtschaft, nimmt die FDP auch Stellung zur Netzneutralitätsdebatte: Die Gleichberechtigung von Diensten könne Innovationen fördern und müsse wettbewerbsrechtlich gesichert werden.
Digitale Infrastruktur
Eine digitale Infrastruktur in Deutschland muss für die FDP vor allem eins sein: gigabitfähig. So will die FDP laut ihrem Wahlprogramm, „dass der Bund seine direkten und indirekten Aktienbeteiligungen an der Deutsche Telekom AG und der Deutsche Post AG vollständig verkauft“ und die Erlöse aus der Privatisierung in den Ausbau einer gigabitfähigen digitalen Infrastruktur investiert. Der Ausbau soll in „Regions-Clustern“ ausgeschrieben werden, „sodass ein Ausbau auch im ländlichen Raum attraktiv ist. Alle Provider müssen Kapazitäten auf neuen Glasfaserleitungen mieten können. Dies ermöglicht echten Wettbewerb bis an die Grundstücke bei gleichzeitiger Refinanzierung über die kommenden Jahrzehnte.“ Der öffentliche Raum, öffentliche Gebäude sowie der Nahverkehr sollen mit freiem WLAN ausgestattet werden. Auch die Verkehrsinfrastruktur soll für intelligente Verkehrssysteme und Mobilität 4.0 fortentwickelt werden. Zum Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G äußert sich die FDP in ihrem Wahlprogramm nicht.
Datenschutz und Privatheit
Den Themen Datenschutz und Schutz der Privatsphäre sowie Sicherheit in der digitalen Welt widmen die Freien Demokraten einen großen Teil des dritten Kapitels „Selbstbestimmt in allen Lebenslagen“. So will die FDP, dass Bürger eine uneingeschränkte Verfügungsgewalt über ihre personenbezogenen Daten bekommen und spricht sich in diesem Zusammenhang für Opt-in-Lösungen und ein allgemeines Auskunftsrecht aus. Außerdem will die Partei „gegen jede anlasslose Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten – sei es aufgrund von Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdatenerhebung oder automatischer Kennzeichenfassung mit dauerhafter
Datenspeicherung“ nach eigener Aussage „kämpfen“. In Bezug auf Verkehrsdaten spricht sich die Partei für die „Quick Freeze“-Alternative zur Vorratsdatenspeicherung aus, bei der Strafverfolgungsbehörden im konkreten Verdachtsfall die bei den Telekommunikationsanbietern aus anderen Gründen gespeicherten Verkehrsdaten auf Anordnung „eingefroren“ werden können und ggf., sollte sich der Tatverdacht bestätigen, auf Aufforderung durch ein Gericht „aufgetaut“ werden können. Datenschutz und datenbezogene Geschäftsmodelle sollen sich aber laut FDP nicht ausschließen, weshalb sie ein Nutzungsrecht für IoT-Daten schaffen will, das einen fairen Interessensausgleich möglich macht.
Cybersicherheit und Überwachung
In Sachen Cybersicherheit spricht sich die FDP für eine Reform der behördlichen Zuständigkeiten in Deutschland sowie für eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit aus. Um den zunehmenden Herausforderungen an die Sicherheit im Cyberraum zu begegnen, will die FDP „das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) aus der Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums lösen und als nachgeordnete Behörde der Fachaufsicht des neu zu schaffenden Digitalministeriums unterstellen“. An anderer Stelle nimmt die FDP auch Stellung zu den Themen Produkthaftung und Verschlüsselung:
- „Der unbefugte Zugriff auf persönliche Daten durch Dritte ist nicht nur ein Schaden für das betroffene Unternehmen, sondern vor allem auch für die betroffenen Kunden. Daher setzten wir uns für eine Haftung des Anbieters bei Fahrlässigkeit ein, wenn zum Beispiel nicht der Stand der Technik verwendet wurde.“
- „Wir Freie Demokraten fordern ein Grundrecht auf Verschlüsselung. Die Weiterentwicklung von Verschlüsselungstechnologien, der Sicherheit von Speichersystemen und von qualifizierten Zugriffs- und Berechtigungslogiken muss hierzu stärker vorangetrieben werden. Gesetzliche Beschränkungen oder Verbote kryptographischer Sicherungssysteme lehnen wir genauso wie den Einsatz von Backdoors und die staatliche Beteiligung an digitalen Grau- und Schwarzmärkten ab.“
Es sei außerdem förderlich für die Cybersicherheit, „die europäischen Fähigkeiten zu bündeln“. Zu den Initiativen für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit, die die FDP vorschlagen will, gehören der Abschluss eines internationalen Informationsfreiheitsabkommens gegen Überwachung und Zensur im Internet, ein No-Spy-Abkommen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten sowie ein verbessertes Privacy- Shield-Abkommen zum Datenaustausch mit den USA.
Social Media
Die Presse- und Meinungsfreiheit im Internet sieht die FDP offenbar gefährdet, weshalb sie in ihrem Wahlprogramm auch zu Fake News und Hate Speech Stellung nimmt. Die breite Kritik am Entwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes aus dem Hause Maas scheint die Partei zu teilen: Sie lehnt „jede Form von staatlicher Kontrolle oder Prüfung auf die Richtigkeit von Nachrichten ab“, ebenso „die Einführung eines Straftatbestands der Desinformation“. Außerdem müssten Polizei und Staatsanwaltschaften „strafbewehrte
Postings in Sozialen Netzwerken konsequenter verfolgen“. Ferner müssten die Behörden finanziell und personell angemessen ausgerüstet werden, um Hate Speech entgegenzuwirken: „Den Betreibern der Angebote dürfen diese Aufgaben nicht übertragen werden. Sie sind keine Zensurbehörde. Das Gewaltmonopol des Staates muss überall gelten. Gleichzeitig müssen die Betreiber ihrer Verantwortung nachkommen und Strategien zum Umgang mit Hass-Postings entwickeln.“
Staat und Verwaltung
In dem letzten Kapitel zum Thema „Unkomplizierter Staat“ setzt sich die FDP für Bürokratieabbau und effiziente Verwaltung ein. Sie fordert u.a. die Einführung eines Digitalministeriums auf Bundesebene. Bei der Digitalisierung der Verwaltungsprozesse käme der mittelständischen IT-Wirtschaft in Deutschland „wegen ihrer hohen Innovationsfähigkeit und ihrer ordnungspolitischen Bedeutung“ eine besondere Bedeutung zu. Der Personalausweis soll zur nutzerfreundlichen digitalen Identifizierung „überall“ zum Einsatz kommen. Auch die Gesundheitsdienstleistungen müsse der Staat weiterentwickeln und „für verbesserte Rahmenbedingungen für eine sichere Digitalisierung des Gesundheitssystems“ – sprich E-Health – sorgen.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Lina Rusch schreibt über Netzpolitik und beobachtet die Landespolitik. Stephan Woznitza ist Analyst für Gesundheitspolitik.
Beitragsbild CC WDR.de