Ministerkonferenzen der Länder: Digitalpolitik mit hohem Stellenwert
Von 5G-Überwachung über Legal Tech bis zu Produkthaftung: Innen- und Justizminister der Länder haben auf ihren jeweiligen Fachkonferenzen einige digitalpolitische Entscheidungen auf der Agenda. Das geht aus den Beschlüssen der Justizministerkonferenz (JuMiKo) und der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) hervor, die vom 5. bis 6. Juni in Lübeck beziehungsweise in Leipzig stattfanden, sowie aus den Beschlussvorlagen für die Innenministerkonferenz (IMK) vom 12. bis 14. Juni in Kiel. Auch die Ministerpräsidenten tagten am 6. Juni 2019 in Berlin und besprachen sich mit der Bundeskanzlerin.
5G: Länder wollen einfacher überwachen
Das Sicherheitsniveau der kommenden Mobilfunkgeneration (5G) ist sowohl JuMiKo als auch IMK ein Dorn im Auge. Während seit Monaten über mögliche Unsicherheiten im künftigen 5G-Mobilfunknetz durch chinesische Unternehmen wie Huawei gestritten wird, sorgen sich die Länder nun, dass die Netze womöglich zu sicher werden. Die Einführung von 5G dürfe „nicht dazu führen, dass die technischen Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden […] faktisch eingeschränkt werden oder ins Leere gehen“, formuliert die JuMiKo in ihrem Beschluss. In der Begründung der ursprünglichen Vorlage heißt es außerdem:
„Aufgrund der geplanten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wäre eine [Telekommunikationsüberwachung (TKÜ)] nur im Wege der Quellen-TKÜ erfolgreich möglich“
– also durch Einschleusen von Spionagesoftware auf dem zu überwachenden Endgerät. Auch Überwachung mithilfe „gefälschter“ Funkzellen durch die Behörden (sogenannter IMSI-Catcher) werde durch 5G-Technologie unmöglich, da Geräte mit dem neuen Standard nicht auf die falschen Funkzellen hereinfallen.
Die JuMiKo erwartet daher vom Bundesjustizministerium (BMJV),
„dass im Rahmen der Spezifikation und der Vergabe der 5G-Mobilfunkfrequenzen die Anforderungen der Strafverfolgung berücksichtigt werden“.
In den Worten der IMK: Die „Ausleitung unverschlüsselter und vollständiger Inhaltskommunikation sowie die zweifelsfreie Zuordnung [und] Ortung von Mobilfunkgeräten“ müsse auch unter der 5G-Technologie erhalten bleiben. Die Netzbetreiber sollten „Zugang zu unverschlüsselter Kommunikation ermöglichen“, also gegebenenfalls die Verschlüsselung kompromittieren. Daher sei es geboten, „in diesem Sinne auf den laufenden Standardisierungsprozess der Kommunikationsnetze 5G Einfluss zu nehmen“.
Laut einem Bericht von heise.de ist diese Standardisierung bereits abgeschlossen – und Verschlüsselungs-Lücken seien ohnehin bereits Teil von 5G:
„Eine Verschlüsselung des Netzverkehrs, die auch der Netzbetreiber nicht mehr entschlüsseln kann, verbat sich aus Sicht der an der Standardisierung beteiligten Firmen durch bestehende Überwachungsgesetze.“
Es gebe keine besonderen Unterschiede zu älteren Mobilfunkstandards:
„Abhörschnittstellen zur Ausleitung von Verkehr […] seien längst Bestandteil der Spezifikationen.“
Für Aufregung sorgt darüber hinaus ein Beschlussvorschlag von Schleswig-Holstein mit dem Titel „Digitale Spuren“. Recherchen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) zufolge wollen die Innenminister künftig Daten aus Fernsehern, Kühlschränken oder Sprachassistenten wie Alexa auswerten, die mit dem Internet verbunden sind. Die IMK schlägt eine Prüfung vor und wünscht einen Bericht mit Handlungsempfehlungen zur Herbstsitzung 2019.
KI-Haftungsfragen und -Regulierung
In einem weiteren Beschluss beschäftigt sich die JuMiKo mit Haftungsfragen beim Einsatz autonomer Systeme. Demnach solle die Gefährdungshaftung des Herstellers für fehlerhafte Produkte „zumindest auch auf standardisierte Software anwendbar sein“. Beim autonomen und automatisierten Fahren solle die Halterhaftung nach dem Straßenverkehrsgesetz greifen; „insbesondere dürfen Hackerangriffe nicht als höhere Gewalt zur Befreiung von der (Halter-)Haftung führen“. Beim Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in Verkehr und Medizinprodukten könne eine Produkthaftung weiter ausgeschlossen bleiben, „wenn der Fehler des Produkts nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte“. Sofern sich jedoch herausstelle, dass von autonomen Systemen in weiteren Bereichen besondere Gefahren ausgehen, sei „die Einführung eines speziellen Gefährdungshaftungstatbestands“ zu prüfen. Gleiches gelte, wenn selbstlernende Systeme eingesetzt werden sollten.
Einen Beschlussvorschlag für verbindliche Ethik-Standards für KI schwächte die JuMiKo deutlich ab. Der Hamburger Vorschlag sah ursprünglich die Aufforderung an die Bundesregierung vor, „sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass es künftig nicht bei rechtlich unverbindlichen Empfehlungen […] bleibt. Gerade im Rahmen von künftigen Legislativmaßnahmen zum Thema KI müssen ethische Anforderungen verbindlich festgelegt werden.“ Eine Sprecherin der Hamburger Justizbehörde sprach von einer Sorge der unionsgeführten Länder, „mit KI-Regulierung zarte Pflänzchen im Keim zu ersticken. Unserer Erfahrung nach wünscht sich jedoch gerade die Wirtschaft in diesem Bereich klare Spielregeln“. Der ursprüngliche Hamburger Beschlussvorschlag hatte die Bundesregierung aufgefordert, sich auf EU-Ebene für wirkliche „rote Linien“ in der KI-Regulierung einzusetzen. Die Justizminister verabschiedeten nun lediglich einen deklaratorischen Absatz, in dem sie
„begrüßen, dass sich die EU-Kommission in jüngster Zeit verstärkt dem Thema der Ethik bei Künstlicher Intelligenz (KI) widmet“.
Legal Tech und Blockchain
Legal Tech stand ebenfalls auf der Tagesordnung der JuMiko. Die Ressortchefs betrachten digitale Anwendungen in der gerichtlichen Praxis als unbedenklich, sofern sie lediglich eine „transparente und dadurch nachvollziehbare bloße Unterstützung der richterlichen Entscheidungsfindung“ darstellen. Legal-Tech-Portale, so die JuMiKo, sein für Verbraucher „wegen des niedrigschwelligen Zugangs zur Rechtsdurchsetzung“ von Vorteil. Jedoch müsse die Gefahr „unqualifizierter Rechtsberatung“ vermieden werden. Die Ressortchefs sprachen sich deshalb dafür aus, „nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz nicht erlaubnisfähige Rechtsdienstleistungen durch Legal-Tech-Angebote der Rechtsanwaltschaft vorzubehalten“. Darüber hinaus schlug die JuMiKo vor, die Onlinezugangsgesetz-Bürgerportale zu öffnen und die Nutzerkonten als sicheren Übermittlungsweg im Zivilverfahren zuzulassen.
Der Einsatz der Blockchain-Technologie begründet nach Ansicht der JuMiKo aktuell keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. „Die weitere technische Entwicklung [bleibt] im Übrigen abzuwarten.“ Darüber hinaus sei ein „Leistungsschutzrecht an maschinengenerierten Daten“ dem geltenden Recht nicht zu entnehmen, und für eine solche Einführung bestehe auch kein Anlass. Eine weitere Hamburger Beschlussvorlage zu Fake News im Netz hatte etwa die Einführung eines Rechts auf Gegendarstellung in sozialen Netzwerken gefordert, wurde jedoch zurückgezogen. Debatten im Vorfeld hätten noch Diskussionsbedarf der Länder gezeigt, erklärte die Justizbehörde.
Cybersicherheit: Länder möchten beteiligt werden
Mit Blick auf Cybersicherheit plädierten die Minister dafür, die spezialisierten Staatsanwaltschaften der Länder auch bei der Koordinierung entsprechender Maßnahmen auf Bundesebene einzubeziehen. Bei der geplanten Fortentwicklung des „Nationalen Cyber-Abwehrzentrums“ zu einem „Cyber-Abwehrzentrum Plus“ wünscht sich die JuMiKo vom Bund „eine angemessene Beteiligung der Strafverfolgungsbehörden der Länder“. Ähnlich heißt es auch in einem Beschlussvorschlag der IMK, mit Blick auf Serientaten im Bereich der Cyberkriminalität seien bestehende Instrumente „zwischen den Ermittlungsbehörden in den Ländern und im Bund [zu] analysieren und auf ihren Optimierungsbedarf hin zu überprüfen“.
Bei der Regulierung des Zugriffs auf Fahrzeugdaten solle der Bund auf EU-Ebene die Bedarfe der Sicherheitsbehörden berücksichtigen, heißt es in einer weiteren IMK-Beschlussvorlage. Die JuMiKo bat das BMJV, verfassungskonforme Regeln für den Einsatz automatisierter Kennzeichenlesesysteme (AKLS) in Strafverfahren zu erarbeiten, und sprach sich für europaweit einheitliche Regeln gegen Volksverhetzungen im Internet aus.
Gesundheitsminister fordern Experimentierräume
Die Gesundheitsminister wünschen sich mehr Beteiligung bei der Digitalisierung ihres Ressorts. Zwar lobten sie einstimmig den Referentenentwurf des „Digitale-Versorgung-Gesetzes“ (DVG) als „wichtigen Baustein“, fordern jedoch auch „wesentlich mehr Beteiligung an Entscheidungen, die durch das DVG ausgelöst werden“. Etwas einsilbig heißt es im Beschluss der GMK: „Derzeit gibt es dazu keinerlei Regelungen im Gesetzentwurf.“ Die Akzeptanz digitaler Gesundheitslösungen sei eine der größten Herausforderungen auf dem Weg in ein digitales Gesundheitssystem, so die GMK in ihrem Beschluss: Es bestünden „selbst bei maßgeblichen Akteuren noch viele Hemmnisse in der Akzeptanz und Anwendung der Digitalisierung“.
Die GMK fordert deshalb die Bundesregierung auf, die Einführung eines Qualitätssiegels für Wearables und Apps zu prüfen, „die auch unterhalb eines Medizinproduktes (z. B. Gesundheits- und Lifestyleprodukte) angesiedelt sind“. Dieser Bereich werde vom vorliegenden DVG-Entwurf nicht erfasst. Insbesondere dürfe Software zur Datenverarbeitung „nicht zu negativen Auswirkungen auf die Versicherten führen, wie zum Beispiel zur Gestaltung von Tarifmodellen mit indirekter Benachteiligung von Nicht-Nutzern“. Die Länder fordern das BMG auf, hier für Rechtssicherheit zu sorgen.
Um Vorteile von E-Health sichtbar zu machen, bestehe die
„Notwendigkeit, regionale Experimentierräume vor allem dort zu ermöglichen, wo bundesweite Vergütungs- und Verfahrensregelungen weitgehend fehlen. Hierzu sind die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen“.
Ein Best-Practices-Vergleich aus den verschiedenen Regionen könne die Akzeptanz stärken und eine schnellere Verbreitung fördern. Um die Abrechnung digitaler Leistungen zu ermöglichen, fordert die GMK darüber hinaus „die Aufnahme geeigneter Experimentierklauseln in die Sozialgesetzbücher“.
Als letzter Absatz des einstimmigen Antrags folgt schließlich das „ceterum censeo“ der Deutschen Digitalpolitik:
„Die GMK stellt fest, dass es für die Sicherstellung sämtlicher Versorgungsbereiche durch Nutzung digitaler Technologien einer gesicherten deutschlandweiten Netzabdeckung bedarf.“
Forschungs-Millionen von Kanzlerin und Ministerpräsidenten
Bei ihrem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vereinbarten die Regierungschefs der Länder am Donnerstag, 6. Juni, drei Pakte für Wissenschaft und Forschung: Im „Pakt für Forschung und Innovation“ vereinbarten Bund und Länder, 120 Milliarden Euro von 2021 bis 2030 in die außeruniversitäre Forschung zu investieren. Mit dem Vertrag „Studium und Lehre stärken“ geben Bund und Länder je zur Hälfte rund vier Milliarden Euro im Jahr zusätzlich zur Grundausstattung in die Hochschulen. Mit einer neuen Organisationseinheit „Innovation in der Hochschullehre“ werden 150 Millionen Euro jährlich durch den Bund bereitgestellt, ab 2024 mit Länderbeteiligung, um neue Ideen zu erproben und umzusetzen. Im vorläufigen Ergebnisprotokoll der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) heißt es unter „TOP 1.4.1 Digitalisierung der Verwaltung“ außerdem: „Das Thema wurde erörtert.“
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Torben Klausa schreibt als Redakteur zur Digitalpolitik.