Interview: Ulrich Commerçon über Digitale Bildung

Veröffentlicht am 08.11.2016

Die Digitalisierung in Gesellschaft und Arbeitswelt schreitet unaufhörlich voran, nur um die Digitale Bildung ist es in Deutschland noch nicht allzu gut bestellt. Mit der Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft, die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka im Juni vorgestellt hat, soll das jetzt anders werden. Mit dem Investitionsprogramm DigitalPakt#D will das BMBF außerdem Digitale Bildung in den Bundesländern fördern. Auch der Nationale IT-Gipfel am 16. und 17. November in Saarbrücken hat dieses Jahr den Schwerpunkt Digitale Bildung. Deshalb wollen wir es genauer wissen: Was passiert in der Bildung in puncto Digitalisierung? Was sind die Ansätze, Herausforderungen und Vorhaben? In unserer Interviewreihe zur Digitalen Bildung in Deutschland haben wir Akteure aus Politik und Wissenschaft befragt. Heute im Interview mit UdL Digital: Ulrich Commerçon (SPD), Minister für Bildung und Kultur im Saarland.

Ulrich Commerçon ist seit 1999 Mitglied des saarländischen Landtags und seit 2001 stellvertretender Vorsitzender der SPD Saarbrücken–Stadt. Bis zu seiner Wahl als Bildungsminister im Jahr 2012 war Commerçon bildungspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Vor kurzem präsentierte der Minister den Strategieentwurf seines Ministeriums wie Medienbildung an saarländischen Schulen gefördert werden kann. Dass der Bund mit dem IT Gipfel und dem DigitalPakt#D Signale für die Digitale Bildung setzt, begrüßt Commerçon und mahnt im Interview mit UdL Digital, mit den Vorhaben bald zu beginnen.

Herr Minister, am 16. und 17. November findet bei Ihnen in Saarbrücken der 10. Nationale IT-Gipfel mit dem Schwerpunkt digitale Bildung statt. Welches Signal des Bundes sollte Ihrer Meinung nach vom Gipfel ausgehen?

Dass die digitale Bildung kein Neuland ist, hoffe ich doch (lacht). Aber eines kann man feststellen: Die Länder haben in diesem Jahr intensiv in Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnern die umfassende Strategie Bildung in der digitalen Welt entwickelt. Nachdem beim Bund lange nichts passierte, hat nun Frau Wanka den DigitalPakt#D vorgestellt. Um in der Internetsprache zu bleiben: Highspeed war’s nicht, aber der Bund will mit dem IT- Gipfel wohl jetzt das Signal aussenden, nicht noch mehr Zeit zu verlieren.

Traditionell scheint mir der Gipfel stark von der Vorstellung geprägt, dass technische Innovationen allein schon Segen genug sind. Tatsächlich bedarf es aber vor allem einer digitalen Bildung, die die Werte der Aufklärung und des Humanismus vermittelt. Nicht die Technik sollte im Zentrum stehen. Wir müssen Funktionen, Strukturen, aber auch gesellschaftliche Auswirkungen und Risiken digitaler Medien sehr viel stärker thematisieren. Das sind nicht nur Aufgaben, die Schule leisten soll, sondern auch Zivilgesellschaft und Politik.

Die Bundesbildungsministerin hat den Ländern mit dem DigitalPakt#D fünf Milliarden Euro zur Investition in die digitale Infrastruktur von Schulen angeboten. Was halten Sie von diesem Angebot?

Es ist wichtig und gut, dass der Bund seiner gesamtstaatlichen Verantwortung für die Bildung jetzt wieder gerecht werden und eine zeitgemäße Bildungsinfrastruktur mitfinanzieren will. Wenn das mehr sein soll als ein Wahlkampfmanöver, sollten schnell die Gespräche mit den Ländern, der Kultusministerkonferenz und den Spitzenverbänden der Kommunen aufgenommen werden, um möglichst noch in dieser Legislaturperiode mit den Vorhaben zu beginnen und sie in einem koordinierten Vorgehen umzusetzen. Außerdem müssen die dafür notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Aber statt jetzt kleinteilig vorzugehen, muss doch vielmehr endlich das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern abgeschafft werden. Es ist unsinnig und kontraproduktiv.

Man gewinnt den Eindruck, dass Deutschland in puncto digitaler Bildung derzeit noch ein Flickenteppich ist. Sind Sie mit der bisherigen Entwicklung zufrieden? Was muss Ihrer Meinung nach noch besser werden?

Wir müssen grundsätzlich verstehen, welche epochalen gesellschaftlichen Veränderungen die zunehmende Mediatisierung und Digitalisierung auslösen und uns vergegenwärtigen, wie unter ihren Bedingungen gelernt, gearbeitet und gelebt werden kann. Die Art, wie wir lesen, schreiben und rechnen, wie wir kommunizieren, verändert sich grundlegend. Das muss sich auch in der Art, wie wir lehren und lernen, widerspiegeln.

Wir stellen im Saarland ein Landeskonzept Medienbildung zur Diskussion, das Strategien vorstellt, wie Medienbildung und Medienkompetenz innerhalb der schulischen Bildung strukturell gestärkt und weiterentwickelt werden kann. Dazu gehört, dass Medienbildung verbindlich in alle Phasen der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte integriert und dass sie integrativer Teil der Curricula aller Fächer wird. Schulen brauchen ein medienbezogenes Schulentwicklungskonzept und digitale Bildungsmedien, die Lehrer und Lehrerinnen auch selbst verändern und anpassen können. Und natürlich eine IT-Infrastruktur und Ausstattung, mit der das alles gemacht werden kann. Alle Länder sind dabei, ähnliche Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Wir sind auf einem guten Weg.

Medienbildung und digitale Bildung sind inzwischen Bestandteil vieler Lehrpläne. Laut dem aktuellen Bericht des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) gilt das allerdings nicht für die Lehrerbildung und das Lehramtsstudium, wo dieses Thema offenbar deutschlandweit noch immer vernachlässigt wird. Wie kann dieser Missstand behoben werden?

Die Hochschulen stehen ja vor der Herausforderung, sich im eigenen Lehrbetrieb der Digitalisierung zu stellen und sie als Forschungsgegenstand zu haben. Grundsätzlich ist meine Beobachtung, dass sich die Hochschulen dieser Verantwortung auch stellen, wenn auch das Tempo nicht immer mit dem Tempo der technologischen Veränderungen Schritt halten kann. In Bezug auf das Lehramtsstudium muss es selbstverständlich und als verbindliches Ziel festgelegt werden, dass Lehrkräfte selbst über allgemeine Medienkompetenz verfügen. Außerdem sollten sie in der Lage sein, die didaktischen und methodischen Chancen digitaler Medien für den Unterricht erkennen und nutzen zu können. Dazu bedarf es jetzt sehr zügig einer Vereinbarung mit allen Akteuren der Lehrkräfteausbildung in Bezug auf die erforderlichen Kompetenzen, Lehrinhalte und Prüfungsformate. Im Saarland ist auch das Bestandteil des bereits erwähnten Landeskonzeptes Medienbildung.

Stichwort Infrastruktur: Um im Unterricht Methoden der digitalen Bildung anwenden zu können, ist eine WLAN-Infrastruktur in der Schule und die Ausstattung der Schüler mit entsprechenden Geräten notwendig. Da es vielerorts an Mitteln für die Anschaffung fehlt, praktizieren einige Schulen inzwischen das Modell „Bring Your Own Device“. Welche Probleme birgt diese Lösung Ihrer Ansicht nach? Und welche Modelle und Lösungen sind denkbar und wünschenswert, um Schulen zeitnah mit WLAN und digitalen Endgeräten auszustatten?

Zunächst ist wichtig, dass niemand benachteiligt wird, der oder die kein eigenes Gerät hat. Wir können nicht voraussetzen, dass alle Eltern ihren Kindern hochwertige Smartphones zur Verfügung stellen sollen. Schulen brauchen also einen Pool an eigenen Geräten. Das ist auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit. Eine große Herausforderung ist die Vielfalt der Geräte. Das betrifft sowohl die technische Administration als auch einen gewissen Kontrollverlust durch die Lehrkräfte, da sie nicht mehr genau wissen, was passiert dort eigentlich, was machen die Jugendlichen mit den Geräten. Das erfordert einen Lernprozess für alle Beteiligten und klare Regeln und Vereinbarungen zwischen Schülerinnen und Schülern und der Schule. Es gibt keine Patentlösung für die Ausstattungsfrage, die ja auch Aufgabe der Schulträger ist. Ziel ist aber, dass mobile Geräte, digitale Bildungsmedien und Internet jederzeit dort verfügbar sind, wo der Unterricht stattfindet.

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