EU startet Internet-Offensive

Jean-Claude Juncker bei seiner "State of the Union Address", Quelle EU Kommission, EC - Audiovisual Service
Jean-Claude Juncker bei seiner "State of the Union Address", Quelle EU Kommission, EC - Audiovisual Service
Veröffentlicht am 21.09.2016

Auf der großen Bühne hat die EU-Kommission eine Internet-Offensive gestartet. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigte bei seiner groß angekündigte Rede zur Lage der Union den „European Electronic Communications Code“ an: „Wir wollen einen neuen Rechtsrahmen schaffen, der Investitionen in Netze und Anschlüsse möglich und attraktiv macht.“ Ebenfalls am 14. September erläuterten EU-Vizekommissionspräsident Andrus Ansip und Günther Oettinger, EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, die neue Richtlinie und ihre Ziele und Initiativen für den Netzausbau. Der soll zum größten Teil privat finanziert werden. Die Rahmenbedingungen soll die neue Richtlinie deutlich verbessern.

Die Richtlinie, die Teil der Kommissionsstrategie zum digitalen Binnenmarkt ist, soll fünf bisherige Richtlinien ersetzen und modernisieren – und zwar

Jean-Claude Juncker bei seiner "State of the Union Speach", Quelle EU Kommission
Jean-Claude Juncker bei seiner „State of the Union Address“, Quelle EU Kommission, EC – Audiovisual Service

Breitbandziele nicht bindend

Der Konsultationsprozess zur neuen Richtlinie („EU-TK-Review“) war im September 2015 gestartet. Mit der Richtlinie soll laut Kommission vor allem der Ausbau der Netze gefördert werden. Ansip und Oettinger definierten drei Ausbau-Ziele bis zum Jahr 2025 – die allerdings laut dem Frage-Antwort-Papier zur Internet-Offensive nicht bindend sind:

  • Das Ziel einer Gigabit-Anbindung für Up- und Download sieht die Kommission nur für „Bereiche mit besonderer sozioökonomischer Bedeutung“ vor. Genannt werden Schulen, Hochschulen, Forschungszentren, Verkehrsknotenpunkte, Anbieter öffentlicher Dienste (wie Krankenhäuser und Verwaltungen) und „Unternehmen, die sich in hohem Maße auf Digitaltechnik stützen“.
  • Flächendeckend für Privathaushalte ist ein Download von 100 Mbit vorgesehen, die auf Gigabit aufrüstbar sein sollen.
  • Beim Mobilfunk sollen „alle Stadtgebiete sowie alle wichtigen Straßen- und Bahnverbindungen“ durchgängig mit einer 5G-Anbindung versorgt werden. Ein erstes Zwischenziel soll 2020 erreicht sein: Die Ausrüstung einer Großstadt je EU-Mitgliedsstaat mit 5G auf gewerblicher Grundlage.

Die EU-Kommission rechnet damit, dass in den nächsten zehn Jahren Investitionen von 500 Milliarden Euro nötig sind, um diese Ausbauziele zu erreichen. Diese Summe soll vor allem „von privater Seite“ aufgebracht werden. Sie geht dabei aber von einer Investitionslücke von 155 Milliarden aus. Diese soll unter anderem durch verbesserte Rahmenbedingungen für Investitionen im Electronic Communications Code verringert werden. Dazu soll in zwei Bereichen die Regulierung gelockert werden: Bei Wholesale-only-Anbietern und bei Co-Investitionen. „Die Regulierung wird dort erheblich verringert, wo konkurrierende Benutzer gemeinsam in Netze mit sehr hoher Kapazität investieren, und es wird kleineren Akteuren erleichtert, sich an Investitionsprojekten zu beteiligen, indem beispielsweise Kosten gebündelt und größenbedingte Schranken überwunden werden können. Die neuen Vorschriften verbessern die Planbarkeit für diejenigen, die als erste das Risiko eingehen, Netzinvestitionen in weniger rentablen, beispielsweise ländlichen Gebieten zu tätigen“, heißt es in der Mitteilung von Ansip und Oettinger.

Von den Regulierungserleichterungen für Wholesale-only-Anbieter können vor allem Unternehmen mit einer besonders starken Stellung am Markt profitieren: „Market players who realise privately-funded investments in networks and then only deal with selling or renting access to them without offering service to end-users will also benefit from lighter access obligations if they are still deemed dominant players in the market. By offering Access to several service providers, the investor can pool revenues and ensure better returns on capital needed to build infrastructure.“, erklärt das Frage- und Antwortpapier.

Ein weiterer Deregulierungsansatz für die Förderung von Investitionen in Breitband: Endnutzer können längere Verträge über den physischen Netzzugang abschließen als die zwei Jahre, die als maximale Vertragsdauer mit dem Internet –Service-Provider festgelegt sind. So sollen Verbraucher Investoren Planungssicherheit geben, um Breitband mit Beteiligung der Nutzer in Gebieten auszubauen, in denen sich das bisher nicht lohnt.

Mehr statt weniger Regulierung gibt es künftig für sogenannte over-the-top communication services (OTT). Im Q&A-Papier der Kommission heißt es dazu: „Communicatons services which use numbers to enable all end users to reach each others (i.e. to call call phone numbers / be reachable via phone number) are very similar to traditional telephony and SMS services. The new code clarifies that such services will have to provide contractual information to their customers, and also switching and emergency call rules apply. End-users will also be able to call harmonised numbers with an important social value (e.g. missing children helplines). On the other hand, over the top (OTT) services, that do not use numbers (e.g. WhatsApp) will be subject to more focused obligations. They will have to make sure that:

  • their servers and networks are secure
  • disabled users have equivalent access to their services
  • their users can reach the EU emergency number 112 if there is evidence it is needed for public safety reasons and that the technical standards are available.“
Die EU Kommission plant Messengerdienste wie WhatsApp erstmal zu regulieren; CC by 2.0 Flickr User David Santaolalla/Titel: Whatsapp / Ausschnitt angepasst

Universal Service = Internetzugang und Sprachübertragung

Mit dem Electronic Communications Code soll auch die Universaldienst-Richtlinie überarbeitet werden. Der Kern ist die Festlegung „to ensure that all end-users have access at an affordable price to available functional internet access services and voice communications services, at least provide users on request with a connection to the public telephone network at a fixed location“, so steht es in Artikel 198 des Richtlinien-Entwurfs. Ältere Universaldienste wie zum Beispiel öffentliche Telefonzellen sollen nicht mehr verpflichtend festgeschrieben werden, können aber von einzelnen Mitgliedsstaaten weiter vorgeschrieben werden.

Neben dem 258 Seiten starken Richtlinien-Entwurf hat die EU auch weitere Programme vorgestellt. Mit „WiFi4EU“ können Kommunen Gutscheine zum Ausbau von WLAN-Hotspots erhalten. Dafür stellt die EU 120 Millionen Euro bereit und geht davon aus, dass 6.000 bis 8.000 Kommunen das Programm nutzen werden. Von größerer Bedeutung für die Zukunft der mobilen Internet-Kommunikation ist der „5G Action Plan“. Dahinter verbirgt sich ein abgestimmter Zeitplan für die europaweite Einführung von 5G. Die 5G-Frequenzbänder sollen gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten und der Branche festgelegt werden. Testläufe für den Mobilfunk-Standard der 5. Generation sollen bis 2018 stattfinden. Bis dahin sollen die Mitgliedsstaaten auch nationale Ausbaupläne für 5G festlegen. Für 2020 ist der gewerbliche Start der 5G-Technologie nach einem gemeinsamen Zeitplan geplant.

Die EU-Kommission sieht durch den Ausbau des schnellen Internets im Festnetz und Mobilfunk große wirtschaftliche Chancen. Sie rechnet durch den neuen Rechtsrahmen für Investitionen in Breitband mit einer Steigerung des BIP um zusätzliche 910 Milliarden Euro bis 2015 und 1,3 Millionen neuen Arbeitsplätzen. Durch den 5G-Aktionsplan könnten nach Ansicht der Kommission zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden. Einige Beispiele für Branchen, die profitieren könnten, nennt die Kommission: automatisiertes Fahren, Warenlieferung mit Drohnen oder virtuelle Realität für die professionelle Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen. Und was Breitband-Netze für Bereiche wie die Medizin bedeuten könnte, verdeutlicht ein Beispiel aus den Kommissionsunterlagen: Die Übertragung einer CT-Aufnahme mit einer heute typischen Bandbreite von 20 Mbit/s dauert 14 Minuten, mit 400 Mbit wären es nur noch 40 Sekunden.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Sascha Klettke ist Chef vom Dienst und Analyst für Netzpolitik.

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