Gefährliche Verbindungen? Regierungen, Unternehmen und Internet Governance

Regierungen, Unternehmen und Internet Governance
Veröffentlicht am 20.03.2013

Dieser Text ist die Kurzversion eines Essay von Francesca Musiani, der bald im Internet Policy Review erscheinen wird. Redaktion und Übersetzung: Uta Meier-Hahn.

Privatwirtschaftliche Akteure beeinflussen heute mehr denn je, wie Inhalte im Internet vermittelt werden. Sie wirken darauf ein, wie freie Meinungsäußerung online möglich ist – mit Auswirkungen auf Internet-Rechte und wirtschaftliche Freiheit.

Aus dem Ende Januar 2013 erschienenen Google Transparency Report geht hervor, dass EU-Regierungen das Unternehmen immer häufiger um Mitarbeit bitten. Die Anfragen zielen zum Beispiel darauf ab, dass Google Inhalte löschen oder Nutzerinformationen herausgeben soll – darunter IP-Adressen, Browser-Verläufe oder E-Mails (EDRi-gram, 2013). Der Report gibt Anlass zur Frage, was für eine Art von Beziehung oder sogar Partnerschaft sich zwischen politischen Institutionen und den großen Unternehmen des IT-Sektors entwickelt – sowohl in Hinblick auf Themen wie Privatsphäre als auch auf die grundsätzliche Legitimität und die Transparenz dieser Zusammenarbeit. Analytisch betrachtet, geht es um Internet Governance. Gemeint ist damit die Entwicklung von Prinzipien, Normen, Regeln, Entscheidungsverfahren und Programmen, die die Evolution und Nutzung des Internets bestimmen – und zwar gemeinschaftlich in einem sogenannten Multi-Stakeholder-Prozess, das heißt unter Einbeziehung diverser Interessengruppen.

“Privatisierung der Internet Governance”

Carly Nyst von Privacy International forderte gegenüber der BBC: “Was wir gegenüber Unternehmen wie Google an Informationen preisgeben, gibt detailliert Aufschluss darüber, wer wir sind – von unseren politischen und religiösen Einstellungen bis zu unseren Freundschaften, Zugehörigkeiten und Aufenthaltsorten. Regierungen dürfen Nutzerdaten, die Unternehmen verwahren, nicht wie einen Schatz behandeln, in den sie mit wenig bis gar keiner rechtlichen Autorisierung hineingreifen können.”

Bedenklich an dieser Entwicklung sind nicht nur die Eingriffe in die Privatsphäre, sondern auch, dass Regierungen Unternehmen wie Google verstärkt dazu aufrufen oder sogar in die Pflicht nehmen, Inhalte zu vermitteln. De facto macht das die Einzelunternehmen zu zentralen Akteuren der Internet Governance.

Dieses Phänomen – von Internet-Governance-Forscherin Laura DeNardis 2010 bezeichnet als “Privatisierung der Internet Governance” – ist nicht neu. Industrie und technische Community haben immer eine grundlegende Rolle dabei gespielt, wie das Internet gestaltet und betrieben wird, zum Beispiel, indem sie technische Standards setzten oder Infrastruktur verwalteten. Was diese Tendenz allerdings verstärkt, ist, dass Nutzer sich immer komplexerer Technologien bedienen und die meistgenutzten Internet-Dienste sich heute in den Händen weniger Anbieter befinden.

Internet-Intermediäre überwachen den Zugang zu Information

Welches Ausmaß die Kontrolle der großen Informations-Intermediäre über von Nutzern erzeugte und im Internet veröffentlichte Inhalte angenommen hat, wurde im September 2012 deutlich: Google, Eigentümer des beliebten Video-Dienstes YouTube, blockierte den Zugang zu dem infamen Video “Innocence of Muslims”, das den Propheten Mohammed lächerlich machte – allerdings nur in Ägypten und Libyen. In beiden Ländern waren gerade bedeutende soziale Umwälzungen im Gange. Google entfernte das Video jedoch nicht ganz und gar von seinen Seiten.

Jura-Professor Peter Spiro sagte dazu gegenüber der New York Times: “Google überwacht weltweit den Zugang zu Information. Wenn Google das First Amendment [der U.S. amerikanischen Verfassung, Anm. d. Red.] so definieren will, dass diese Arten von Material ausgeschlossen werden, kann der Rest der Welt daran wenig ändern. Dieser Fall würde noch bedeutsamer, wenn Google die Blockade ausweitete.” Tatsächlich zeigen dieser und weitere Fälle aus dem Transparency Report, bei denen Google als Inhalte-Vermittler eingreift, “welche Macht – beinahe vergleichbar mit der von Gerichten – die Inhalte-Intermediäre des Internets haben, und wie sie de facto entscheiden können, welche Inhalte öffentlich bleiben und welche entfernt werden” (Musiani, 2012).

Informelle Dimensionen von Internet Governance

Man sollte die gesteigerte Bedeutung, die der private Sektor im Bereich der Internet Governance spielt, nicht nur in Bezug auf mögliche Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, als Bedrohung der Privatsphäre oder Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit betrachten. Historisch betrachtet, spielte die Privatindustrie auch eine positive Rolle, zum Beispiel was Innovation, technische Effektivität, vernetzte Verteilung, Kommunikation und Interaktion angeht (DeNardis, 2010).

Dennoch: Technische Eingriffe wie Firewalls, mit denen Netzwerkbetreiber schädliche Anwendungen an den Grenzen ihrer Netze abwehren, die Nutzung von Traffic Management Software, mit der sie Anwendungen und Inhalte in ihren Netzen analysieren (Van Schewick, 2011), und eben auch die beschriebene Vermittlung von Inhalten, sind ein wichtiger Teil von Internet Governance – wenngleich auch ein eher informeller.

Institutionalisierte Formen von Governance stärker beachtet

Im Internet-Governance-Diskurs werden privatwirtschaftliche Handlungen wie diese häufig vernachlässigt. Institutionalisierte Formen der Governance, die eher politischen Traditionen entsprechen, finden mehr Berücksichtigung: Regierungen, internationale und supranationale Organisationen, Multi-Stakeholder-Foren und zivilgesellschaftliche Organisationen.

Michel van Eeten, Internet-Forscher an der TU Delft, bemerkt dazu, dass sich “ein sehr großer Teil der Literatur zu Internet Governance auf die formalen internationalen Institutionen konzentriert, die ausdrücklich in Diskussionen über die globale Governance des Internets eingebunden sind. Auf alltägliche Aktivitäten und Probleme, die in kritischer Weise beeinflussen und regulieren, wie das Internet wirklich funktioniert, wird der Begriff ‘Internet Governance’ normalerweise hingegen nicht angewendet” (Van Eeten, 2009).

Die traditionellen Instrumente des internationalen politischen und rechtlichen Systems wie Übereinkommen, Verträge, Pläne und Vereinbarungen zwischen Regierungen sind sicherlich wichtig für Internet Governance, sowohl für politische Praxis als auch für Studien.

Doch es gibt “innewohnende politische” Aspekte angefangen bei Such-Algorithmen über das Entfernen von Videos bis zum Blocken von Domain-Namen, die daher rühren, wie die Privatwirtschaft mit der Infrastruktur umgeht. Wenn wir heute über Internet Governance reden, dürfen sie nicht unberücksichtigt bleiben. Dass diese Handlungen häufig in Zusammenarbeit oder sogar auf Anweisung von Regierungen und supra-nationalen Institutionen geschehen, ist besonders wichtig. Denn die Details der gefährlichen Verbindungen, die Abkommen und Kompromisse, geraten selten in die Öffentlichkeit.

Weitere Quellen

DeNardis, L. (2010). The Privatization of Internet Governance. Fifth GigaNet Annual Symposium/Yale Information Society Working Paper.

Van Eeten, Michel. (2009). “Where is the Governance in Internet Governance?”, Fourth Annual GigaNet Symposium, Sharm-el-Sheikh, Egypt, November.

Van Schewick, B. (2011). Internet Architecture and Innovation. Cambridge, MA: The MIT Press.

 

Die E-Plus Gruppe unterstützt das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft beim Aufbau einer Plattform zu Fragen der Internet-Regulierung. Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen dieser Kooperation auf UdL Digital.

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