Über den aktuellen Stand von Digital Public Affairs in Deutschland
Vor gut zwei Jahren ging mit UdL Digital die erste strategisch geplante Digital Public Affairs-Initiative eines Unternehmens in Deutschland online. Wie weit ist die junge Disziplin gekommen. Darüber sprachen wir mit Martin Höfelmann, der im Zuge seines soeben absolvierten Studiums das Thema wissenschaftlich erforschte.
Du hast die Digital Public Affairs-Aktivitäten von diversen Unternehmen und Institutionen in Deutschland untersucht. Wie verbreitet ist Digital Public Affairs hierzulande?
Martin Höfelmann: Digital Public Affairs ist natürlich in den USA schon wesentlich weiter als in Deutschland. Allerdings haben sich neben Pionieren wie der E-Plus Gruppe mit UdL Digital auch andere Unternehmen und Verbände entschieden, ihre politische Sicht per Social Media zu kommunizieren. So bloggt der Bundesverband Erneuerbare Energien genauso wie etwa der Hotelverband Deutschland. BASF setzt auf einen Bürgerdialog in Sachen Genkartoffeln. Das Google Collaboratory setzt eher auf einen Dialog unter Fachleuten, der dann transparent gemacht wird, während UdL Digital mit dem BASE_camp zusätzlich politische Themen ganz real mit einer eigenen Community bespricht. All diese verschiedenen Ansätze zeigen, dass Digital Public Affairs in Deutschland derzeit noch in einer Ausprobierphase steckt und es die eine Strategie nicht gibt, und das ist auch gut so. Bemerkenswert ist übrigens die Zahl von Digital Public Affairs-Blogs auf EU-Ebene. Seien es Microsoft, Google oder AT&T, in Brüssel möchten viele auch online nicht mehr fehlen.
Vielen fehlt Interaktion
Eine Erkenntnis aus Deiner Analyse und Arbeit ist, dass es nur wenigen Autoren gelingt, Interaktion herzustellen. Worin liegt das? Dem Unvermögen im Umgang mit dem Social Web oder an den Themen, die in vielen Punkten extrem dröge wirken?
Martin Höfelmann: Das liegt in erster Linie ganz einfach daran, dass viele untersuchte Unternehmen zwar ihre politischen Statements in Blogposts gießen können, es dann jedoch vergessen, auf Reaktionen – also Kommentare – einzugehen. Exxon zum Beispiel generierte mit jedem Blogpost teilweise weit mehr als 100 Kommentare, was am aufgeladenen Thema Öl liegen dürfte, interagierte dann aber nicht mit den Usern. Ein solches Versäumnis enttarnt letztlich aber auch das eigene Angebot. Besser macht es da BASF, die auf fast jeden Kommentar reagierten. Insofern denke ich, dass vielen Angeboten die strategische Herangehensweise fehlt und – so meine These – dort vermutlich einfach Interessenvertreter sich ins Web begeben haben, ohne die Spielregeln des Web zu kennen. Sind viele Themen dröge? Auf jeden Fall, aber die Analyse zeigte, dass sich selbst über die Bettensteuer trefflich diskutieren lassen kann.
Social Media Coaching wichtig
Auch stellst Du fest, dass die ursprünglichste Währung im Social Web, die Verlinkung auf Drittseiten, so gut wie gar nicht gezahlt wird. Mangelt es den Public Affairs-Verantwortlichen am Ende an Social Web Skills?
Martin Höfelmann: Ich denke das ein Social Media Coaching bei einigen Digital Public Affairs-Angeboten im Vorfeld geholfen hätte. Die Verschlagwortung von Texten oder das Anlegen einer Blogroll, die Nutzung von Track- und Pingpacks sind eigentlich kein Wunderwerk. Daher kann man davon ausgehen, dass dort viele zu Unternehmensbloggern berufen wurden, die von Social Media zunächst einmal wenig Ahnung hatten. Auch die Einbindung von Videos, Fotos, Dokumenten oder Präsentationen über entsprechende Dienste wie Youtube, Flickr oder Slideshare kam kaum vor, wodurch oftmals fachpolitische Textwüsten entstanden.
Was ist schon Transparenz?
In Sachen Transparenz konnten die von Dir untersuchten Blogs allesamt überzeugen. Dabei gilt der Begriff Transparenz als die große aktuelle Hürde der politischen Kommunikation, mit der gerade die Piratenpartei punkten kann. Wie wird sich der Umgang mit Transparenz in den nächsten Jahren entwickeln, und welchen Beitrag kann das Social Web dazu leisten?
Martin Höfelmann: Transparenz ist ein Begriff, der in diesen Tagen sehr inflationär gebraucht wird. Gerade Lobbying ist ein Bereich, der hingegen fast schon etwas Verschwörerisches hat. Angebote wie das von UdL Digital unter Nutzung von Social Media leisten da bestimmt einen wertvollen Beitrag zur Entmystifizierung. Ihr kommuniziert mit Klarnamen und stellt zur Kontaktaufnahme eure persönlichen Social Media Profile bereit. Viele Digital Public Affairs-Blogs in den USA liefern zusätzlich noch ein Foto des Autors und stellen im Blog die Lebensläufe vor.“ Bringing back the public in Public Affairs“ könnte man das nennen, was da passiert. Die Frage für vollständige Transparenz ist aber die: Wird tatsächlich alles online vorgestellt? Oder bekommt die Netzgemeinde nur jene Themen im Blog aufbereitet, die gerade gut passen?
Es braucht Teamwork
Dein Fazit lautet: Es gibt mehr bloggende Lobbyisten als lobbyierende Blogger. Wäre die politische Kommunikation besser, wenn es umgekehrt wäre?
Martin Höfelmann: Nein, das denke ich nicht. Klassische Lobbyisten haben ihre Daseinsberechtigung genauso wie Digital Public Affairs-Blogger. Die politische Kommunikation profitiert dann, wenn beide in einem Team zusammenarbeiten. Der Blogger braucht die Expertise des Politprofis, der Politprofi die Webskills des Bloggers.
Digital Public Affairs machen politische Kommunikation transparent und binden die Öffentlichkeit ein – schön und gut. Aber: Sind sie im Hinblick auf die Kernziele politischer Kommunikation erfolgreich?
Martin Höfelmann: Die Frage müsste ich eigentlich euch stellen, und sie interessiert mich in der Tat. Würden eure User Online-Petitionen unterschreiben oder gar ein Sit-in vor der Bundesnetzagentur machen, wenn der Netzausbau stockt? Was politische Entscheidungen angeht, so denke ich, dass der direkte Kontakt derzeit (noch) entscheidend ist. Digital Public Affairs sind allerdings eine Fundgrube an Positionen, die mithilfe guter SEO natürlich auch von politischen Referenten im Bundestag wahrgenommen werden können, so mal diese auch das Internet zu Recherchearbeiten nutzen.
Digital Public Affairs wird kommen
Führen Digital Public Affairs dazu, dass neue politische Entscheidungsträger hervortreten, klassische politische Entscheidungsstrukturen also aufgeweicht werden?
Martin Höfelmann: Ich denke, dass sich –wenn überhaupt – vor allem mit der jungen Generation, die sich gleich ob in der Piratenpartei oder auch in den klassischen Parteien, politisch engagiert und ja auch zwangsläufig irgendwann im Plenarsaal Platz nehmen wird, diese Entscheidungsstrukturen verändern können. Die Generation der Digital Natives wird womöglich durch ihre teilweise Sozialisierung im Netz andere Ansprüche an solche Prozesse stellen. Zu sagen, dass dieser Prozess Digital Public Affairs zu verdanken ist, halte ich für vermessen. Allerdings wird Digital Public Affairs dann nicht mehr wegzudenken sein.
Abschließend: Wird DPA noch ein Hype-Thema in Deutschland, oder bleibt es in seiner Nische gut aufgehoben?
Martin Höfelmann: Der Blick in die Glaskugel gibt mir das Gefühl, dass es zunächst eine Randerscheinung bleiben wird, die vor allem bei Unternehmen und Verbänden eine Rolle spiele dürfte, deren Themen besonders webaffin sind. Cloud Computing oder das Telekommunikationsgesetz passen da vom Thema her einfach besser ins Web 2.0 als die EU-Altautoverordnung. Auf lange Sicht wird sich Digital Public Affairs jedoch durchsetzen. Spätestens wenn der erste Pirat den Bundestag entert, werden einige merken, dass der ja in diesem Internet mehr unterwegs ist als im Café Einstein.