36. Berliner Halbmarathon: Tipps von Achim Achilles
Der Lauf-Experte und die Digitalisierung
Am Sonntag wird wieder gelaufen: Um 10:05 Uhr startet der 36. Berliner Halbmarathon und mehr als 34.000 Sportbegeisterte beginnen ihre 21,0975 Kilometer lange Strecke, die sie an den markantesten Punkten der Hauptstadt vorbeiführt: Alexanderplatz, Brandenburger Tor, Großer Stern, Ernst-Reuter-Platz, Schloss Charlottenburg, Kurfürstendamm, Potsdamer Platz und Friedrichsstraße mit Checkpoint Charlie. Der Lauf führt auch am Telefónica BASECAMP vorbei und viermal wird die ehemalige Mauergrenze überquert. Doch auch andere Überwindungen sind nötig, erklärt uns heute der Lauf-Experte Hajo Schumacher im Interview.
Man kennt ihn nicht nur als Moderator von unserer Eröffnung der neuen Telefónica-Haupstadtrepräsentanz im Oktober, als er die Panel-Diskussion mit seinen Kommentaren zum Laufen brachte, sondern vor allem durch seine Kolumne bei Spiegel Online. Dort schreibt er als Achim Achilles über das Leiden der Läufer und wie man die lange Strecke am besten überwindet. Vor allem die Digitalisierung stellt gute Möglichkeiten dafür bereit. Aber laufen muss jeder immer noch selbst, genau wie vor über 2.000 Jahren in Griechenland nach der Schlacht bei Marathon. Mit moderner Technik wäre diese Geschichte übrigens anders ausgegangen, weiß Hajo Schumacher.
Der Marathonsport ist ein paar hundert Jahre alt. Die Digitalisierung etwas jünger. Wann haben sich die beiden zum ersten Mal getroffen?
Mit dem Marathon ist es wie mit der Digitalisierung: Es gibt unendlich viele Legenden. Angeblich ist der Lauf über 42 Kilometer vor 2.500 Jahren von einem Soldaten namens Pheidippides bewältigt worden, von Marathon nach Athen, wo er tot zusammenbrach. Die Strecke beträgt allerdings nur 34,5 Kilometer, auch heute noch. Der Mann soll zudem nicht kollabiert sein. Dafür scheiterte sein Ruf nach Hilfe.
Mit der Digitalisierung hätte man im Jahre 490 v. Chr. erstens die Strecke präziser messen, zweitens die Vitaldaten des Läufers prüfen und drittens die von ihm überbrachte Botschaft schneller und detaillierter senden können, ohne dass jemand hätte sterben müssen. Nur wäre dann der Marathon leider nicht erfunden worden.
Seither haben sich Marathon und Technik gleichsam einander angeschlichen. Heute kann jeder Läufer sein Tempo, seinen Standort, seinen Trainingszustand prüfen. Aber schneller sind die Marathonis deswegen auch nicht geworden. Ja, Technik hilft. Aber Technik lenkt eben auch ab. Wenn man jeden lausigen Trainingskilometer erstmal wortreich auf Facebook posten muss, kommt man ja kaum noch zum ernsthaften Laufen.
Und mögen sich die beiden, oder haben wir es hier mit einer Hass-Liebe zu tun?
Tja, das ist eine heikle Frage. Früher war der Marathon eine einsame Angelegenheit. Nach der Van-Aken-Methode wurden täglich endlose Stunden langsamer Läufe absolviert – ohne Musik oder Hörbuch oder Achilles-Podcast, ohne GPS, ohne präzise Trainingssteuerung. Genaue Pulsdaten sind in der Tat ein Gewinn. Im Rennen selber musste der Athlet in Ermangelung präziser Daten viel kopfrechnen. Heute ist der Sport komplett durchtechnisiert, inklusive der Selbstdarstellung in den sozialen Medien.
Seien wir ehrlich: Es gibt viele hilfreiche Tools, aber auch ein Menge Info- und Datenmüll, der den Sport nicht fördert, sondern bremst. „Too much information“ ist das große Problem unserer Zeit. Und „too much to show“ kommt noch hinzu. Bei manchen Freizeitsportlern hat man den Eindruck, dass sie jeden Schritt eigentlich nur machen, um sich irgendwelche Likes abzuholen. Wenn´s motiviert – na gut. Aber was ist, wenn die Likes ausbleiben? Dann führt der Weg stracks zum Psychologen. Aber dafür gibt es bestimmt auch schon eine App. Klare Sache also: Hass-Liebe.
Man stellt sich vor, dass Marathonläufer immer mit wahnsinnig vielen Gadgets und Apps ihr Training messen und verbessern. Was ist dran am überprotokollierten Marathonläufer?
Es ist wie überall in der Multi-Minoritätengesellschaft: Man findet für alles einen Beleg. Der übertechnisierte Läufer hat ja nicht nur das Smartphone dabei, sondern noch die GoPro-Kamera vorgeschnallt, weil Millionen Leute irre gern sechs Stunden lang Gewackel durch Straßenschluchten sehen wollen. Und Solarzellen in der Mütze, weil die Akkus so schnell leer sind.
Toll, was man da alles auswerten kann, mit Zahlen, Grafiken, Kurven, Karten. Und noch den Film schneiden, und die richtige Musik dazu. Und mit dem Vorjahresvideo abgleichen. Tja, da kommt schon was zusammen, wenn auch keine gute Leistung. Denn eine Stunde Sport bedeuten bei Tech-Freak ja zehn Stunden Rechnerarbeit. Aber es soll sogar Partner geben, die sich den ganzen Krempel hinterher angucken.
Fakt ist: Beim Läufer mit Technikhintergrund haben wir es weniger mit jemandem zu tun, der Sport treiben will, sondern mit einem Menschenkind, das den Sport gebraucht, um seine Technikbegeisterung auszuleben. Ist doch toll. Rein volkswirtschaftlich kann man sich doch solche Mitbürger nur wünschen: Sie stellen nichts Böses an, sind von der Straße, wenn sie nicht gerade ein bißchen laufen, und konsumieren wie die Blöden. Nur als Flatrate-Anbieter hat man mit solchen Vögeln wohl ein Problem, bei dem täglichen Datenvolumen.
Wie stehst Du selbst zur Digitalisierung beim Marathonsport? Und was sind Deine Lieblingsgadgets oder Apps?
Ich attestiere mir selbst eine Lernkurve. Anfangs mache ich immer ziemlich viel Hype mit, um dann aber relativ schnell die Frage meiner treu sorgenden Frau beantworten zu müssen: Wozu brauchst du den Kram jetzt noch mal genau? Die Antwort lautet fast immer: keine Ahnung. Ich will meine begrenzte Lebenszeit nicht mit Überflüssigem vertrödeln, deswegen habe ich mich konsequent entdigitalisiert.
Ich laufe mit Hemd, Hose, Socken, Schuhen und einer Polar V 800, die meinen begrenztem technischen Verständnis durch ihre Bedienfreundlichkeit sehr entgegenkommt. Und hinterher kann ich mir die Strecken angucken, das Tempo, die Wochenkilometer. Reicht. Apps? Keine einzige. Webseiten? Nur www.achim-achilles.de, das Streckenportal www.gipsies.com und dann und wann noch Facebook. Reicht mir völlig.
Was an digitalem Support fehlt noch beim Marathonsport, was würdest Du Dir wünschen?
Einen Urinstrahlmesser, der ohne Sauerei in Echtzeit misst, welche Spurenelemente meinem Körper gerade fehlen. Ich neige zu Krämpfen und wäre sehr glücklich, wenn es so ein Warnsystem gäbe. Aber vorerst werde ich wohl weiter meine Mangesiumdrinks runterwürgen müssen.
Weitere Informationen:
Websites: Berliner Halbmarathon | Achim Achilles
Amazon: Bücher von Achim Achilles | E-Books von Achim Achilles
Über Dr. Hajo Schumacher
Dr. Hajo Schumacher, geb. 1964, studierte Journalistik, Politologie und Psychologie und promovierte mit einer Arbeit über politische Führungsstrategien von Angela Merkel.
Von 1990 bis 2000 war er Redakteur beim Spiegel, zuletzt Co-Leiter des Berliner Büros und von 2000 bis 2002 Chefredakteur von Max. Heute arbeitet er als freier Journalist, Buchautor und Moderator.
Von ihm erschienen u.a. die Bücher Kopf hoch, Deutschland (Blessing, 2005), Die zwölf Gesetze der Macht. Angela Merkels Erfolgsgeheimnisse (Heyne, 2007), (mit Klaus Wowereit) … und das ist auch gut so. Mein Leben für die Politik (Heyne, 2007), (mit Susanne Leinemann) Mamas & Papas: Wie wir täglich fröhlich scheitern (Diana, 2011) und Bewegt Euch! Die Glücks-Philosophie des Achim Achilles (Ludwig, 2012). Sein Buch Restlaufzeit (Eichborn Verlag, 2014) war lange in der Spiegel-Bestsellerliste zu finden. Im Oktober 2015 ist erschienen (mit Malu Dreyer): Die Zukunft ist meine Freundin.
Er schreibt als freier Autor für Berliner Morgenpost, Hamburger Abendblatt und Spiegel Online, er kommentiert für RBB und WDR, Deutschlandradio und RTL. Für DW TV moderiert er den Talk „Quadriga“, im RBB-Fernsehen ist er ständiger Gast der „Beobachter“ mit Jörg Thadeusz.
2013 gewann er den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie Interview (mit Benjamin von Stuckrad-Barre; s. http://www.reporter-forum.de). Schumacher entwickelt Konzepte, schreibt Reden für Chefs und bietet für die Deutsche Presseakademie das Seminar „Die Schreibwerkstatt“ an. Unter dem Pseudonym Achim Achilles schreibt er bei Spiegel Online über Hobby-Läufer und veröffentlicht Bücher wie Achilles’ Verse (Heyne, 2006) und Achilles’ Verse II (Heyne, 2009), Der Lauf-Gourmet (Heyne, 2010), Keine Gnade für die Wade: Neues vom Wunderläufer (Heyne, 2013) und den Achilles-Laufkalender (Heyne, jährlich).