Jared Cohen: Es gibt keinen Cyberspace

Veröffentlicht am 11.11.2015

So voll war es noch nie am Mittag im Telefónica BASECAMP. Kaum hatten sich am Dienstag um 12 Uhr die Türen für eine Fortsetzung der Veranstaltungsreihe Digital Masterminds geöffnet, waren alle Plätze zum Sitzen und Stehen belegt. Schon wenige Minuten später gehörte das zugehörige Twitter-Hashtag #DigiMinds zu den meistgenutzten in Berlin. Das Thema war dieses Mal besonders interessant: Jared Cohen, Gründer und Director des Thinktanks Google Ideas sowie einer der „einflussreichsten Menschen der Welt“ (TIME), sprach über Macht und Politik im digitalen Zeitalter.

„Es gibt keinen Cyberspace“, war seine wichtigste Warnung. Digitale Konflikte, die in Internet-Foren oder durch Propaganda-Videos bei Youtube ausgetragen werden, könnten jederzeit zu realen Auseinandersetzungen führen. Das Internet ist keine Parallelwelt und die Digitalisierung ist manchmal auch nur eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Jared-Cohen_16-9An diese Erkenntniss habe sich selbst die US-Regierung, für die der 34-jährige bis 2010 als Berater der Außenministerinnen Condoleeza Rice und Hillary Clinton arbeitete, erst gewöhnen müssen.

Noch 2007 wurde Jared Cohen belächelt, wenn er bei Meetings des Planungsstabes auf aktuelle Entwicklungen im Internet verwies. Doch dann kamen der Arabische Frühlung, dessen riesige Demonstrationen vor allem per Smartphone organisiert wurden, sowie das Aufkommen der Crypto-Währungen – und heute funktionieren Politik und Machterhalt ganz anders.

Zentrum: Telefónica BASE_camp

Mit diesen Thesen war Jared Cohen bei den Digital Masterminds genau richtig. Telefónica Deutschland gestaltet die digitale Transformation nicht nur als Unternehmen, sondern stellt sich auch der öffentlichen Debatte über die Zukunft der realen Welt und des digitalen Zusammenlebens.

Publikum_16-9Das Telefónica BASECAMP dient als Zentrum der Diskussionen und gibt international renommierten Vordenkern mit seiner Veranstaltungsreihe eine Plattform. Bei den Digital Masterminds treffen sie auf Journalisten und Unternehmensvertreter, um die Aspekte des digitalen Lebens zu analysieren und Lösungen für die Zukunft zu finden.

Dafür können im entscheidenden Moment sogar ein paar Telefonate reichen, zeigt das Beispiel von Jared Cohen: 2009 rief er auf dem Höhepunkt der Jugendproteste im Iran einfach aus dem Außenministerium bei Twitter an, um die Opposition zu unterstützen. Die ursprünglich für Upgrades geplante Abschaltung der Server wurde um einige Tage verschoben, damit die Demonstranten weiter Twitter für die Organisation ihrer Proteste und zum Informieren der internationalen Medien nutzen konnten.

Spill-Over: Reale Gefahr für den Frieden

Das ist nur ein praktisches Beispiel für den kontinuierlichen Spill-Over von Entwicklungen zwischen der digitalen und der realen Welt, auf den Jared Cohen immer wieder verweist. Für ihn scheint es fast unausweichlich, dass beispielsweise Cyber-Angriffe eines Tages mit realer Waffengewalt beantwortet werden.

Digiminds_16-9

Als Beispiel führte er im Telefónica BASECAMP die Verbindungen zwischen den USA und China an. Während sie im realen Leben noch von Diskussionen und Warenaustausch geprägt sind, würden sie im Internet schon an Kriegsvorbereitungen erinnern.

Die Beziehungen sähen dort schlimmer aus als mit Nordkorea. Man kann nur hoffen, dass keine staatlich gesteuerte Hacker-Attacke das Pulverfass zum Explodieren bringt. Genau dafür hat das Milliardenunternehmen Google seinen Think Tank in New York gegründet und Jared Cohen an die Spitze gesetzt.

Google Ideas: Think Tank für Frieden

Google Ideas entwickelt beispielsweise Algorithmen, um diskriminierende Diskussionen im Internet früh zu erkennen, damit sich keine physische Gewalt daraus entwickelt. Das Problem ist dabei nur: Was fängt man mit dem Wissen an? In Deutschland sind beispielsweise bestimmte politische Aussagen verboten, die in den USA vom Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt sind.

Panel_16-9In solchen Fällen müssen die lokalen Gesetze entscheiden, sagt Jared Cohen. Was verboten ist und gelöscht wird, legen Politiker fest und die Mitarbeiter von Internet-Unternehmen setzen es um. Google stellt nur Daten bereit.

Doch manchmal mischt sich der Multi auch richtig ein: beispielsweise in der Ukraine – und zwar auf beiden Seiten. Seine Wunderwaffe heißt Project Shield und ist der Reverse Proxy von Google Ideas. Bei den Auseinandersetzungen um die Krim schützte er gleichzeitig russische und ukrainische Websites, denn in solchen Konflikten werden oft zuerst unabhängige Nachrichten-Seiten oder Internet-Auftritte von Menschenrechtlern und Wahlbeobachtern durch Distributed Denials of Service attackiert.

Die Angreifer überfluten solche Server systematisch mit Unmengen von Anfragen, bis sie zusammenbrechen und keine Webseiten mehr anzeigen können. Google kopiert sie dann einfach auf seine eigenen Rechner und liefert die Webseiten durch seine Infrastruktur aus. Wer sie dann noch abschießen möchte, muss das auch bei Google.com tun, das von den besten IT-Sicherheitsexperten der Welt geschützt wird.

Wenn das nur bei echten Schießereien im realen Leben auch möglich wäre!

 

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