Lunch-Talk von AI Hub Europe: KI ist die nächste Stufe der Automatisierung
Foto: Henrik Andree
Wir haben ein neues Veranstaltungsformat erprobt, das im Oktober in die zweite Runde geht: den Lunch-Talk von AI Hub Europe mit Unterstützung durch das Magazin brand eins. Bei der ersten Ausgabe am 21. Juni ging es um die Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) in Politik und Wirtschaft. Aber vor allem war es eine Einführung in dieses neue Thema, das immer noch viele Fragen offen lässt. So voll war es schon lang nicht mehr bei einer Mittagsveranstaltung im Telefónica BASECAMP.
„Das Ziel ist, menschenähnliches Verhalten nachzubilden, damit Probleme eigenständig und automatisiert bearbeitet werden“, erklärte Markus Oliver Göbel, Senior Public Relations Manager und Pressesprecher des Telefónica BASECAMP, in seinem einführenden Vortrag über den Einsatz von KI bei Telefónica Deutschland. Damit grenze sich künstliche Intelligenz von reinen Datenanalysen oder einfachen Algorithmen ab, die nicht intelligent reagieren, selbstständig lernen oder Lösungen auf künftige Probleme projizieren können.
Telefónica Deutschland: Neues Wissen durch KI
Bei Telefónica Deutschland hilft die KI beispielsweise, neue Erkenntnisse aus Unternehmensdaten und weiteren Quellen zu gewinnen, die aufgrund der Komplexität der Fragestellung und der Flut von Informationen früher nicht möglich gewesen wären. Doch die KI erkennt Muster im Meer der Daten. Dabei geht es auch nicht darum, Bisheriges zu ersetzen oder menschliche Arbeit einzusparen. Es werden vielmehr Auffälligkeiten und Lösungen entdeckt, die vorher nicht bekannt waren. Das ist der neue Trend in Technik und Wirtschaft, der durch künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen erst möglich wird. Selbst die Bundesregierung wurde davon erfasst.
„Im Koalitionsvertrag steht heute zehn Mal künstliche Intelligenz, wo früher wahrscheinlich Industrie 4.0 gestanden hätte“, sagte der Moderator Daniel Abbou, der gemeinsam mit Thomas Ramge auf der Website von AI Hub Europe über die wichtigsten Entwicklungen in diesem Bereich berichtet. „Doch was ist das eigentlich?“ Viele verstünden es noch gar nicht, weshalb der Experte es mit anschaulichen Beispielen erklärte. Als beispielsweise der Schachcomputer Deep Blue 1996 den Schachweltmeister Garri Kasparow schlug, war das zwar ein Schock, aber die Spielzüge waren dennoch vorhersehbar, weil sie früher schon einmal von Menschen gespielt wurden.
AlphaGo: Schwerste Spielzüge einfach selbst beigebracht
Das Team von Deep Blue verfügte beispielsweise über eine vollständige Historie aller öffentlichen Partien Kasparows, deren Analysen in die Programmierung einflossen. Und der Computer musste sich dann nur noch mit seiner Parameterauswertung für einen der vorgegebenen Züge entscheiden, der ihn am gewinnbringendsten erschien. Doch bei AlphaGo war es anders. Das Computerprogramm schlug 2016 den weltbesten Profispieler im Go, was bis dahin als unmöglich galt, weil das Spiel für Maschinen zu schwer war. Es gibt zu viele mögliche Züge, die sich einfach nicht vorherberechnen lassen.
Deswegen verlegte man sich bei AlphaGo auf Lernmethoden für tiefe neuronale Netzwerke. Die Maschine spielte monatelang gegen sich selbst und lernte dabei neue Züge, die noch nie jemand vor ihr gespielt hatte. Dagegen kommt kein menschlicher Gegner an. „Einige Experten denken schon, das KI sich zu einer neuen Super-Intelligenz entwickelt, die den Menschen überlegen ist und sich über uns erhebt“, sagte anschließend Thomas Ramge in seinem Vortrag. „Doch es gibt eine gute Nachricht: Das ist alles Blödsinn“, erklärte der Journalist und Autor, der gerade wieder ein neues Buch über künstliche Intelligenz veröffentlicht hat. Es gebe keinen erkennbaren Entwicklungsweg, der in diese Richtung führt.
Google Assistant: Friseur-Anruf vom nützlichen Fachidioten
Und auch wenn jetzt jeder beeindruckt ist, dass der Google Assistant selbstständig beim Friseur anrufen kann und dabei nicht von einem Menschen zu unterscheiden ist, sei das doch kein großer Schritt. Die künstliche Stimme sei zwar super. Doch die eigentliche Entscheidung, dass ein Haarschnitt nötig ist, hat eine Person getroffen. Die Software braucht dann nur noch einen Zugriff auf den Kalender und schaut regelbasiert während des Anrufs nach einem freien Termin. „Künstliche Intelligenz ist die nächste Stufe der Automatisierung nach dem Webstuhl und dem Fließband und Robotern und solchen Entwicklungen“, erklärte Ramge. „Sie ist die Fähigkeit von Maschinen, Sachentscheidungen in einem eng gesteckten Rahmen zu treffen.“
So wie fürs Gasgeben und Bremsen beim autonomen Fahren: Das können Maschinen viel schneller und sicherer als Menschen, wenn sie die notwendigen Daten dafür haben. Man könnte 90 Prozent aller tödlichen Autounfälle damit verhindern, sagt eine Studie von McKinsey. Künstliche Intelligenz sei ein „nützliches Fachidiotentum„, fasste Thomas Ramge deshalb zusammen. Sie könne schneller, besser und günstiger Entscheidungen für beschränkte Bereiche treffen. Doch die eigentliche Aufgabe sei heute, dass die Menschen ihre Entscheidungen verbessern, damit ihre Fehler und Vorurteile nicht auf die automatischen Urteile von Algorithmen übertragen werden. Dafür sind noch viele Lernprozesse und Investitionen nötig.
KI-Nachzügler: Wie den Standort Europa stärken?
„Künstliche Intelligenz ist die Schlüsseltechnik für das 21. Jahrhundert“, sagte Stefan Heumann, Politikwissenschaftler und Mitglied des Vorstands der Stiftung Neue Verantwortung, in seinem Vortrag über die politische Seite des Themas. KI liege weltweit im Trend. Doch während es international vor allem um die wirtschaftlichen Vorteile gehe, würde Deutschland fast nur über Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt diskutieren. Allein 2016 seien weltweit 30 Milliarden US-Dollar in künstliche Intelligenz investiert worden, zeigte Heumann in seiner Präsentation. Aber Deutschland oder die EU kamen in der Statistik nicht einmal vor, weil die großen Investitionen vor allem in den USA und China getätigt werden.
Die Volksrepublik verfolgt eine staatlich verordenete KI-Strategie, durch die sie in den nächsten zwölf Jahren zur weltweiten Nummer eins aufsteigen will. Mit seiner starken ITK-Industrie und bald einer Milliarde Internet-Nutzern, die täglich große Mengen an Daten generieren, sei das Land optimal dafür aufgestellt. In Deutschland würde man dagegen an einem strategischen Nachteil leiden, sagte Heumann: viel zu wenig Trainingsdaten für künstliche Intelligenzen. Deutsche Forscher seien zwar fleißig beim Publizieren über KI, aber international würden diese Erkenntnisse kaum zitiert. Das gelte übrigens auch für Themen, in denen die Bundesrepublik als stark erscheint, wie Industrie 4.0 und autonomes Fahren.
Wenigstens Frankreich habe jetzt staatliche Investitionen von 1,5 Milliarden Euro für die Forschung angekündigt und eine nationale KI-Strategie vorgestellt, auch wenn das immer noch zu wenig sei im Vergleich mit China und den USA. „Darüber müssen wir uns dringend Gedanken machen“, mahnte Heumann. Ein paar neue Buzzwords im Koalitionsvertrag würden nicht ausreichen, und vor allem die Forschungspolitik müsse agiler werden. „Die denken bei der Bewilligung von Projekten immer noch in Fünfjahresrhythmen“, sagte der Experte, der beispielsweise das Programm Europäische Digitale Agenda bis März 2016 geleitet hat. Dadurch würden viele wichtige Trends einfach verschlafen. Was soll man gegen solche Entwicklungen tun, um den Standort zu stärken? Das könnte eine interessante Frage für die nächste Ausgabe des Lunch-Talk von AI Hub Europe im Oktober sein.