futur/io-Start in Berlin: Exponentiell schnell in eine wünschenswerte Zukunft
Foto: Henrik Andree
„In den kommenden 20 Jahren wird es mehr technische Fortschritte geben als in den vergangenen 2.000 Jahren“, sagte Maurice Conti am Donnerstag im Telefónica BASECAMP. Die Technologie werde uns übermenschliche Kräfte verleihen, erklärte der Zukunftsforscher und Chief Innovation Officer der Moonshot-Fabrik Telefónica Alpha, denn wir treten jetzt ins Augmented Age ein: das Zeitalter der Überwindung unserer natürlichen Grenzen. Die Entwicklung hat bereits begonnen, zeigten die Beispiele in seinem Vortrag, und sie beschleunigt sich jetzt extrem. Den Weg durch diese rasanten Veränderungen soll das neue Institut futur/io weisen, wo Maurice Conti ein Dozent ist.
Zu der Eröffnung des neuen „European Institute for Exponential Technologies & Desirable Futures“ kamen fast 200 Unternehmensvertreter, Forscher und Experten aus der Digitalwirtschaft und verschiedensten Branchen ins Telefónica BASECAMP. Sie wollten sehen, welche Wege in eine „wünschenswerte Zukunft“ das neue europäische Institut bei seiner Ausbildung und Forschung über „exponentielle Technologien“ finden möchte, und reisten dafür bis aus den USA, Israel, Frankreich, Luxemburg, Italien und Estland an. Die Diskussionen dauerten bis tief in die Nacht hinein.
futur/io: Manager und Politik fit für die Zukunft machen
„futur/io dient nicht nur zur Ausbildung von Führungskräften in exponentiellen Technologien und wünschenswerten Wegen in die Zukunft“, sagte der Gründer und Kurator Harald Neidhardt bei einem Pressegespräch vor dem Beginn der Veranstaltung. „Wir möchten auch Politiker in unsere Diskussionen einbinden, denn wir benötigen wohlinformierte Entscheidungen aus der Politik. Es geht darum, wohin diese Entwicklung gehen soll und wie wir in Zukunft leben möchten.“
Dafür wird es 2018 zwei fünftägige Master Classes in Berlin und einer anderen Stadt geben sowie mehrere zweitägige Kurse in Venedig, Paris, Salzburg und an anderen Orten. futur/io sucht sich immer besondere europäische Standorte und Partner, welche die Vielfalt der Kultur des Kontinents erleben lassen: Fakultätsmitglied Maurizio Rossi ist beispielsweise nicht nur Co-CEO beim italienischen Startup-Inkubator H-Farm, wo im Mai ein futur/io-Kurs stattfindet, sondern auch Mitglied im Vatican Art and Technology Council, das den Heiligen Stuhl in Technologie-Fragen berät. Daraus könnten sich weitere interessante Kontakte ergeben.
Ganz Europa: Kurse für Chefs und junge Visionäre
Für jeden Kurs plant futur/io ungefähr 30 bis 50 Teilnehmer ein, die aus dem gehobenen Management stammen und ihre Firmen auf die Umbrüche vorbereiten wollen, die uns in den kommenden Jahren durch exponentielle Entwicklungssprünge erwarten. Aber es soll auch Stipendien für junge Leute geben, welche die Transformation voranbringen. Ein Beispiel ist der 25-jährige Pascal Weinberger, Head of Rapid Development & AI bei Telefónica Alpha, der auch ins Telefónica BASECAMP kam und extra aus Tel Aviv anreiste. Er hatte schon mit 17 Jahren seine erste eigene Firma für künstliche Intelligenz gegründet und erforscht heute, wie man die Technik zum Verbessern des gesellschaftlichen Zusammenlebens einsetzen kann. Deswegen ist er heute auch kein Kursteilnehmer, sondern gehört zu den Dozenten von futur/io.
Doch in den Lehrveranstaltungen geht es nicht nur darum, solche Techniken kennenzulernen, sondern vor allem um ihren Einsatz für die „Desirable Futures“. Es war ein „schwerer Kampf, um Harald von diesem Zusatz zu überzeugen“, sagte Alexander Mankowsky im Telefónica BASECAMP. „Denn anfangs ging es ihm immer nur um Roboter und alle möglichen exponentiellen Entwicklungen.“ Der Zukunftsforscher arbeitet für den Daimler-Konzern bereits an „kooperativen Autos“, die mit ihrem Fahrer zusammenarbeiten und auf Fußgänger selbsttätig achten können. Und er gehört auch zur Fakultät von futur/io.
Desirable Futures: Mehr Star Trek und weniger Blade Runner
Wir brauchen „mehr Star Trek und weniger Blade Runner“ für unsere Zukunft, sagte Harald Neidhardt schon am Anfang des Abends. Die Fernsehserie hatte bereits vor Jahrzehnten einen praktischen 3D-Drucker für Essen präsentiert, den es seit einiger Zeit auch wirklich als Projekt für die Pizza-Versorgung von Astronauten gibt. Das sind die positiven Beispiele, die er der Negativ-Utopie aus dem Kinofilm entgegenstellen will. „Die Menschen sind gut darin, sich um die Zukunft zu sorgen“, sagte deshalb auch Maurice Conti in seinem Vortrag. „Doch sie sind schlecht darin, sie vorherzusehen.“
Er machte einen weiten Sprung in die Vergangenheit, um zu erklären, wie schnell jetzt die Veränderungen auf uns zukommen: Die Zeit der Jäger und Sammler habe zwei Millionen Jahre gedauert, das Industriezeitalter gerade einmal 200 Jahre und das Informationszeitalter sei erst 20 Jahre alt. Doch ab jetzt kämen die Entwicklungssprünge immer öfter. Durch Smartphones und ihren Zugang zu künstlichen Intelligenzen wie Siri oder Google Assistant seien Menschen bereits jetzt funktionale Cyborgs. Aber sie müssten immer noch den Maschinen ihren Willen aufzwingen, auch wenn diese immer kreativer würden. Als Beispiel zeigte Maurice Conti ein aerodynamisch perfektes Chassis für ein Auto, das eine künstliche Intelligenz nach Millionen von Versuchen designte. Es hat große Ähnlichkeit mit den Hüftknochen von Eichhörnchen, denn die Natur baut wohl immer noch die besten Formen.
Aber Maschinen würden jetzt auch intuitiv und fänden eigene Lösungen. Kein Mensch hätte die Strategien verwendet, mit denen AlphaGo den weltbesten professionellen Go-Spieler schlagen konnte. Doch vor einem Aufstand der Maschinen müsse die Menschheit keine Angst haben. „Den Terminator wird es noch jahrzehntelang nicht geben“, erklärte der Experte, denn diese Filmfigur habe eine „generelle künstliche Intelligenz“ gehabt, während die elektronischen Superhirne aus der Realität immer nur bestimmte Aufgaben erfüllen könnten. Selbst ein Hund sei klüger.
„Die Menschen haben immer Angst, dass die Maschinen die Oberhand gewinnen, doch das wird nicht passieren“, sagte er spöttisch, denn es sei „viel wahrscheinlicher, dass wir uns vorher selbst auslöschen“. Maschinen würden von Menschen entwickelt und unterlägen ihrer Kontrolle. Ihre Fähigkeiten seien mit der engen Intelligenz eines Eichhörnchens vergleichbar, das sich über den ganzen Winter die Verstecke von tausend vergrabenen Nüssen merken kann, erklärte Maurice Conti.
Neuer Mensch: Superkräfte durch intelligente Maschinen
Mit solchen Spezial-Fähigkeiten würden Maschinen ab jetzt den Menschen erweitern. Als Beispiel zeigte er einen Roboter mit dem ironischen Namen Bishop, den nur Fans der SciFi-Filmserie Alien im Publikum zu deuten wussten: Man kann mit ihm reden und durch Gesten zeigen, wohin er ein Loch bohren soll. „Der Mensch ist gut im Erklären erklären und der Roboter bohrt am besten“, fasste Maurice Conti zusammen. „In der Zukunft werden wir Superkräfte haben, weil Maschinen uns verstärken. Aber wir müssen sie immer nutzen, um die Welt zu verbessern.“ Auch Facebook und LinkedIn seien schon Erweiterungen unserer menschlichen Fähigkeiten, weil man damit über undendliche Entfernungen zusammenarbeiten kann und jederzeit erfährt, was auf der anderen Seite des Erdballs geschieht.
Bei Telefónica Alpha hätten sie sogar schon eine Technik entwickelt, um „andere Technik in den Hintern zu treten“. Dabei dürfte es sich wahrscheinlich um eine Lösung mit künstlicher Intelligenz handeln, die für ihren Nutzer die Flut von Informationen filtert, die täglich aus dem Internet über ihn hereinbricht. Doch mehr durfte der Chief Innovation Officer leider nicht sagen, weil die Telefónica-Tochterfirma gerade erst langsam den „Stealth-Modus„ verlässt, in dem sie seit Monaten verborgen arbeitet.
Seit einiger Zeit gibt es wenigstens eine Website, auf der die ersten Moonshots skizziert werden. „Alpha wurde gegründet, um ambitioniert zu sein“, sagte das Video, das Maurice Conti im Telefónica BASECAMP zeigte. Das neue Energie-Projekt möchte beispielsweise eine stabile Stromversorgung für 2,7 Milliarden Menschen ermöglichen. „Die sind dort echt so verrückt, dass es funktionieren kann“, dachte sich Maurice Conti, bevor er im August aus dem Silicon Valley zu Telefónica Alpha nach Barcelona wechselte. Diesen Geist will er nun auch bei futur/io verbreiten, damit aus den exponentiellen Technologien eine wünschenswerte Zukunft entsteht.